A.5 Michelson-Morley-Experiment

Das Michelson-Morley-Experiment wurde von Albert A. Michelson und Edward W. Morley um 1890 entwickelt und durchgeführt. Ziel des Experiments ist es, die Bewegung der Erde relativ zum Ausbreitungsmedium des Lichts (Äther) zu messen (den sogenannten Ätherwind).

Michelson-Morley Versuchsaufbau

Bild A.20: Michelson-Morley Versuchsaufbau

A.5.1 Idee

Je nachdem, wie wir uns mit der Erde zum Ausbreitungsmedium des Lichts bewegen, sollte sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts verändern. Da Licht aber eine so große Geschwindigkeit hat, ist es sehr schwierig, eine kleine Abweichung davon direkt festzustellen. Deshalb verwendet das Michelson-Morley-Experiment einen Trick, um noch so kleine Abweichungen festzustellen.

Prinzip eines Interferometers

Bild A.21: Prinzip eines Interferometers

Dabei wird ein Lichtstrahl in zwei Teilstrahlen aufgeteilt, die sich in unterschiedliche Richtungen bewegen. Wenn die Teilstrahlen danach durch Spiegel wieder vereint werden, kann bei einer Laufzeitdifferenz Interferenz festgestellt werden. Damit das funktioniert, muss die Lichtquelle monochromatisches (Licht einer Wellenlänge) und kohärentes (alle Lichtwellen befinden sich zu Beginn in gleicher Phase) Licht aussenden (Bild A.21).

Links:

A.5.2 Details

Gefühlsmäßig könntest du annehmen, dass sich die längere Laufzeit mit dem Wind und die kürzere Laufzeit gegen den Wind genau aufheben und die Laufzeitdifferenz insgesamt null ist.

Um zu zeigen, dass dem nicht so ist, betrachten wir als Beispiel ein Flugzeugwettrennen zwischen zwei Flugzeugen. Für beide Maschinen ist der Punkt \(O\) der Start und das Ziel und beide Flugzeuge fliegen Strecken derselben Länge \(L\) im Gelände ab. Der einzige Unterschied ist: Das rote Flugzeug fliegt nach Norden um den Pylon A (Strecke O-A-O) und das blaue Flugzeug fliegt nach Osten und um den Pylon B (Strecke O-B-O) (Bild A.22).

Flugzeugwettrennen ohne Wind

Bild A.22: Flugzeugwettrennen ohne Wind

Beide Maschinen fliegen mit der Geschwindigkeit \(c\) und so endet jedes Wettrennen bei Windstille mit einem Unentschieden. Die Zeit für einen Rundkurs ist für beide Flugzeuge gleich und beträgt:

\[ t = \frac{s}{v} = \frac{2\cdot L}{c} \]

Am nächsten Tag ändern sich die Flugbedingungen. Es weht ein konstanter Westwind (aus Westen kommend) von \(w\) (Bild A.23). Wie wirkt sich das Wetter auf die Flugzeiten aus?

Flugzeugwettrennen mit Wind

Bild A.23: Flugzeugwettrennen mit Wind

Betrachten wir zunächst den Flug des blauen Flugzeuges. Dieses hat im Hinflug Rückenwind. Die Reisegeschwindigkeit erhöht sich auf \(v_\text{hin}=c + w\) ist und die Zeit für den Hinflug ist:

\[\begin{equation} t_\text{hin} = \frac{L}{c+w} \tag{A.12} \end{equation}\]

Für den Rückflug hat die Maschine Gegenwind. Die Reisegeschwindigkeit verringert sich auf \(v_\text{hin}=c - w\) ist und die Zeit für den Rückflug ist:

\[\begin{equation} t_\text{rück} = \frac{L}{c-w} \tag{A.13} \end{equation}\]

Die Gesamtflugdauer des blauen Flugzeugs ist die Summe aus Hin- und Rückflugzeit:

\[\begin{align} t_\text{blau} & = t_\text{hin}+t_\text{rück} \notag \\ & = \frac{L}{c+w} + \frac{L}{c-w} \notag \\ & = \frac{L\cdot(c-w)+L\cdot(c+w)}{(c+w)\cdot(c-w)} \notag \\ & = \frac{L\cdot c- L\cdot w + L\cdot c+L\cdot w)}{(c+w)\cdot(c-w)} \notag \\ & = \frac{2\cdot L\cdot c}{(c+w)\cdot(c-w)} &&\Bigr\rvert\quad \text{3. binomische Formel} \notag \\ & = \frac{2\cdot L\cdot c}{c^2-w^2}&&\Bigr\rvert\quad c^2\;\text{herausheben} \notag \\ & = \frac{2\cdot L\cdot c}{c^2\cdot\left(1-\frac{w^2}{c^2}\right)} \notag \\ & = \frac{2\cdot L}{c\cdot\left(1-\frac{w^2}{c^2}\right)} \tag{A.14} \end{align}\]

Sehen wir uns jetzt den Flug der roten Maschine an. Dieses Flugzeug hat sowohl beim Hin- als auch Rückflug Seitenwind. Würde sie direkt auf den Pylon \(A\) zusteuern, würde sie abgetrieben. Damit sie die kürzest mögliche Zeit fliegt, muss die Maschine gegen den Wind steuern. Die genaue Richtung ergibt sich aus der Vektoraddition der Geschwindigkeiten (Bild A.24: Hinflug (a), Rückflug (b)).

Vektorsumme für Hin- und Rückflug der rote Maschine

Bild A.24: Vektorsumme für Hin- und Rückflug der rote Maschine

Beide Dreiecke sind kongruent (deckungsgleich). Daher beträgt die Reisegeschwindigkeit nach dem Satz des Pythagoras für Hin- und Rückflug:

\[\begin{equation} t_\text{hin} = t_\text{rück} = \frac{L}{\sqrt{c^2-w^2}} \tag{A.15} \end{equation}\]

Die Gesamtflugdauer für das rote Flugzeug ist:

\[\begin{align} t_\text{rot} & = t_\text{hin}+t_\text{rück} \notag \\ & = \frac{2\cdot L}{\sqrt{c^2-w^2}} \notag \\ & = \frac{2\cdot L}{\sqrt{c^2\cdot(1-\frac{w^2}{c^2})}} \notag \\ & = \frac{2\cdot L}{c\cdot\sqrt{(1-\frac{w^2}{c^2})}} \tag{A.16} \\ \end{align}\]

Die Flugzeiten beider Maschinen sind ähnlich, aber nicht gleich. Welche Maschine ist langsamer, welche schneller? Wenn die Windgeschwindigkeit \(w\) kleiner als die Flugzeuggeschwindigkeit \(c\) ist, gilt:

\[ \begin{aligned} w < c & \implies 0 < \frac{w^2}{c^2} < 1 \\ & \implies 0 < 1-\frac{w^2}{c^2} < 1 \\ & \implies \sqrt{(1-\frac{w^2}{c^2})} > (1-\frac{w^2}{c^2}) \\ & \implies \frac{1}{c\cdot\sqrt{(1-\frac{w^2}{c^2})}} < \frac{1}{c\cdot (1-\frac{w^2}{c^2})} \end{aligned} \]

Unter diesen Umständen gewinnt die rote Maschine also immer diesen Wettflug. Du kannst das auch mit einem konkreten Zahlenbeispiel überprüfen (\(w=2\;\mathrm{m/s}\), \(c=5\;\mathrm{m/s}\), \(L=100\;\mathrm{m}\)).

\[ \begin{aligned} t_\text{rot} & = 43{,}64\ldots\;\mathrm{s} \\ t_\text{blau} & = 47{,}61\ldots\;\mathrm{s} \end{aligned} \]

In Hinblick auf das Michelson-Morley-Experiment interessiert uns die Zeitdifferenz zwischen beiden Flügen. Da wir voraussetzen können, dass die Geschwindigkeit \(c\) wesentlich größer als die Windgeschwindigkeit \(w\) ist, können wir die Ausdrücke für das blaue und rote Flugzeug durch folgende Näherungen ersetzen (Taylorreihenentwicklung):

\[\begin{equation} \frac{1}{1-\frac{w^2}{c^2}} = \left(1-\frac{w^2}{c^2}\right)^{-1} \approx 1+\frac{w^2}{c^2} \tag{A.17} \end{equation}\]

Und

\[\begin{equation} \frac{1}{\sqrt{(1-\frac{w^2}{c^2})}} = \left(1-\frac{w^2}{c^2}\right)^{-\frac{1}{2}} \approx 1+\frac{1}{2}\cdot\frac{w^2}{c^2} \tag{A.18} \end{equation}\]

Damit erhältst du für die Zeitdifferenz:

\[\begin{align} \Delta t & = t_\text{blau} - t_\text{rot} \notag \\ & \approx \frac{2\cdot L}{c}\cdot\left(1+\frac{w^2}{c^2}\right) -\frac{2\cdot L}{c}\cdot\left(1+\frac{1}{2}\cdot\frac{w^2}{c^2}\right) \notag \\ & = \frac{2\cdot L}{c}\cdot\left[\left(1+\frac{w^2}{c^2}\right)-\left(1+\frac{1}{2}\cdot\frac{w^2}{c^2}\right)\right] \notag \\ & = \frac{2\cdot L}{c}\cdot\left[\frac{1}{2}\cdot\frac{w^2}{c^2}\right] \notag \\ & = \frac{L\cdot w^2}{c^3} \tag{A.19} \end{align}\]

A.5.3 Aufbau

In Bild A.25 siehst du den Aufbau und den Strahlenverlauf eines Interferometers.

Aufbau Michelson-Morley-Experiment

Bild A.25: Aufbau Michelson-Morley-Experiment

Zunächst bewegt sich der Lichtstrahl von der Lichtquelle auf einen halbdurchlässigen Spiegel zu. Dort teilt sich der Strahl in zwei Teilstrahlen (blau und rot), die sich in unterschiedliche Richtungen im Raum ausbreiten. Durch zwei Spiegel werden die Lichtstrahlen reflektiert und beim halbdurchlässigen Spiegel wieder vereint. Bei gleich langen Teilstrecken und unterschiedlichen Lichtlaufzeiten der beiden Teilstrahlen ergibt sich am Ende des Strahlenganges eine Phasenverschiebung (Bild A.25 unten). Diese Phasenverschiebung kann als Interferenz im Detektor gemessen werden.

A.5.4 Ergebnis

Obwohl das Michelson-Morley-Experiment wiederholt an verschiedenen Orten auf der Erde durchgeführt wurde, konnte nie eine Phasenverschiebung festgestellt werden. Um eine zufällige Phasenverschiebung um ein ganzzahliges Vielfaches der Lichtwellenlänge auszuschließen, wurde das Experiment auch gedreht. Alle dieser Experimente haben gezeigt: Licht breitet sich in alle Richtungen immer mit der gleichen Geschwindigkeit aus.

Es gab einige Ideen, um diesen Ausgang des Experiments mithilfe des Lichtäthers zu erklären. Sie alle konnten durch Experimente widerlegt werden. Schließlich wurde die Ätherhypothese fallen gelassen. Licht – im Gegensatz zu einer mechanischen Welle – benötigt kein Ausbreitungsmedium.

A.5.5 Historische Bedeutung

Zum einen ist es das bekannteste Experiment mit negativem Ausgang, da es keinen Unterschied in den Lichtlaufzeiten feststellen konnte.

Aber auch ein negatives Resultat bei einem Experiment liefert neue Erkenntnisse. So gilt das Ergebnis des Michelson-Morley-Experiments als der Ausgangspunkt für die Relativitätstheorie von Albert Einstein.

Der geniale Trick, mithilfe von Interferenz kleinste Laufzeitunterschiede von Licht zu messen, wird bis zum heutigen Tag ( zum Beispiel beim Nachweis von Gravitationswellen) verwendet.

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