A.4 Millikan-Experiment

Das Millikan-Experiment (Bild A.13) wurde von Robert Andrews Millikan und Harvey Fletcher entwickelt und dient zur Bestimmung der elektrischen Ladung von Öltröpfchen, die jeweils nur wenige Elementarladungen tragen.

Moderner Millikan Versuchsaufbau

Bild A.13: Moderner Millikan Versuchsaufbau

A.4.1 Idee

Befindet sich ein geladenes Teilchen in einem Kondensatorfeld auf der Erde, wirken zwei Kräfte (Bild A.14): die Gewichtskraft \(F_G\) und die Coulombkraft \(F_C\).

Kräftegleichgewicht von Gewichts- und Coulombkraft

Bild A.14: Kräftegleichgewicht von Gewichts- und Coulombkraft

Aus der angelegten Spannung, die notwendig ist, um das Teilchen schweben zu lassen, kann die Ladung des Teilchens bestimmt werden.

A.4.2 Details

Ein geladenes Tröpfchen kann in einem elektrischen Feld (Kondensatorfeld) in Schwebe gehalten werden. Aus der angelegten Spannung kann die Ladung berechnet werden. Weil aber die Tröpfchen alle unterschiedliche Größen (Massen) und unterschiedliche Ladungen haben, ist das nicht so einfach. Außerdem sind die Tröpfchen so klein, dass ihr Radius nicht direkt durch Beobachtung gemessen werden kann. Daher läuft das Experiment in 2 Phasen ab:

  1. Bestimmung der Endgeschwindigkeit des Tröpfchens beim freien Fall an Luft, die abhängig von seiner Masse ist.
  2. Bestimmung der Schwebespannung für das Tröpfchen, die abhängig von seiner Masse und der Ladung ist.

A.4.2.1 Teil 1

Teilchen fällt im Gravitationsfeld

Bild A.15: Teilchen fällt im Gravitationsfeld

Für kleine Tropfen spielt die Luftreibung eine große Rolle. Daher stellt sich im ersten Teil des Experiments nach kurzer Fallzeit ein Gleichgewicht zwischen Gewichtskraft und Reibungskraft (Gesetz von Stokes) ein – das Tröpfchen fällt jetzt mit seiner konstanten Maximalgeschwindigkeit (Bild A.15).

\[\begin{equation} F_{G} = F_{r} \end{equation}\]

Und nach dem Einsetzen der Kräfte:

\[\begin{equation} m\cdot g = 6\cdot\pi \cdot r\cdot\eta\cdot v \tag{A.6} \end{equation}\]

In dieser Gleichung stehen:

  • \(m\) für die Masse des Tröpfchens (Einheit: \(\mathrm{kg}\))
  • \(g\) für die Fallbeschleunigung Erde (\(9{,}81\;\mathrm{m}/\mathrm{s}^2\))
  • \(r\) für den Radius des Tröpfchens (Einheit: \(\mathrm{m}\))
  • \(\eta\) für die Viskosität von Luft (\(1{,}8\cdot 10^{-5}\;\mathrm{N}\cdot \mathrm{s}/\mathrm{m}^2\))
  • \(v\) für die Fallgeschwindigkeit des Tröpfchens (Einheit: \(\mathrm{m}/\mathrm{s}\))

Gehen wir von einem kugelförmigen Tröpfchen aus, können wir seine Masse über die Dichte (\(\rho_{Öl}=950\;\mathrm{kg}/\mathrm{m}^3\)) und sein Kugelvolumen und daher über seinen Radius ausdrücken:

\[\begin{align} m = {} & \rho\cdot V_{Kugel} \notag \\ = {} & \rho \cdot \frac {4}{3}\cdot\pi\cdot r^{3} \tag{A.7} \\ \end{align}\]

Setzen wir diese Masse in die Gleichung (A.6), erhalten wir:

\[\begin{align} \rho \cdot \frac {4}{3}\cdot\pi\cdot r^{3}\cdot g & = 6\cdot\pi \cdot r\cdot\eta\cdot v &&\Bigr\rvert\cdot \frac{3}{4\cdot g\cdot \rho\cdot \pi\cdot r} \notag \\ r^{2} & = \frac{9\cdot\eta\cdot v}{2\cdot g\cdot \rho} &&\Bigr\rvert\; \sqrt{(\ldots)} \notag \\ r & = \sqrt{\frac{9\cdot\eta\cdot v}{2\cdot g\cdot \rho}} \tag{A.8} \end{align}\]

In dieser Gleichung sind die einzigen unbekannten Größen die Fallgeschwindigkeit \(v\) und der Radius \(r\) des Tröpfchens. Aus der Messung der Fallgeschwindigkeit kann der Tröpfchenradius berechnet werden.

A.4.2.2 Teil 2

Im zweiten Teil des Experiments schalten wir ein Kondensatorfeld ein und verändern die Spannung so, dass das Tröpfchen schwebt (Bild A.16).

Geladenes Teilchen schwebt im elektrischen Feld

Bild A.16: Geladenes Teilchen schwebt im elektrischen Feld

Im Schwebezustand herrscht ein Gleichgewicht zwischen der Gewichtskraft \(F_G\) und der elektrischen Kraft \(F_C\).

Für einen Plattenkondensator ist diese Kraft \(F_C\):

\[ F_C = Q\cdot E = Q\cdot\frac{U}{d} \]

Darin bedeuten:

  • \(Q\), die Ladung des Tröpfchens (Einheit: \(\mathrm{C}\))
  • \(E\), die elektrische Feldstärke (Einheit: \(\mathrm{N}/\mathrm{C}\))
  • \(U\), die elektrische Spannung zwischen den Kondensatorplatten (Einheit: \(\mathrm{V}\))
  • \(d\), den Abstand der Kondensatorplatten (Einheit: \(\mathrm{m}\))

Setzen wir für beide Kräfte ein und verwenden das Ergebnis für \(F_G\) aus dem ersten Teil des Experiments (Gleichung (A.6)), erhalten wir:

\[\begin{align} F_C & = F_G \\ Q\cdot\frac{U}{d} & = \rho \cdot \frac {4}{3}\cdot\pi\cdot r^{3}\cdot g \notag \\ Q\cdot\frac{U}{d} & = 6\cdot\pi \cdot r\cdot\eta\cdot v \qquad\Bigr\rvert\cdot \frac{d}{U} \notag \\ Q & = \frac{6\cdot\pi\cdot\eta\cdot v\cdot d}{U} \cdot r \tag{A.9} \end{align}\]

Für \(r\) setzen wir das Ergebnis aus dem ersten Teil des Experiments ein (Gleichung (A.8)):

\[\begin{align} Q & = \frac{6\cdot\pi\cdot\eta\cdot v\cdot d}{U} \cdot r \notag \\ Q & = \frac{6\cdot\pi\cdot\eta\cdot v\cdot d}{U} \cdot \sqrt{\frac{9\cdot\eta\cdot v}{2\cdot g\cdot \rho}} \tag{A.10} \end{align}\]

Mithilfe dieser Gleichung können wir jetzt durch Messen der Fallgeschwindigkeit \(v\) (ersten Teil) und der Messung der Spannung \(U\) im Schwebezustand (zweiten Teil) die Ladung \(Q\) des Tröpfchens bestimmen.

Neben der hier beschriebenen Schwebemethode gibt es noch einen zweiten Weg, die Ladung eines Tröpfchens zu bestimmen: Ist die Spannung größer als die Schwebespannung, bewegt sich das Tröpfchen aufgrund der Luftreibung mit konstanter Geschwindigkeit nach oben. Aus den gemessenen Größen konstante Fallgeschwindigkeit \(v_1\) (1. Teil), angelegter Steigspannung \(U\) und konstanter Steiggeschwindigkeit \(v_2\) (2. Teil) lässt sich ebenfalls die Ladung des Tröpfchens berechnen (ohne Herleitung).

\[\begin{equation} Q = \frac{{9 \cdot \pi \cdot d}}{{2 \cdot U}} \cdot \sqrt {\frac{{{\eta ^3}}}{{g \cdot {\rho _{{\mathrm{Öl}}}}}}} \cdot\sqrt{{v_{2}} - {v_{1}}} \cdot \left( {{v_{1}} + {v_{2}}} \right) \tag{A.11} \end{equation}\]

A.4.3 Aufbau

Den Versuchsaufbau siehst du in Bild A.17.

Prinzipieller Versuchsaufbau des Millikan Experiments

Bild A.17: Prinzipieller Versuchsaufbau des Millikan Experiments

Mithilfe eines Zerstäubers werden feinste Öltröpfchen erzeugt (rund \(0{,}5\;\mathrm{\mu m}\) Durchmesser). Durch Reibungselektrizität beim Zerstäuben besitzen die Öltröpfchen eine Ladung von nur wenigen Elementarladungen. Durch eine kleine Öffnung gelangen die Öltröpfchen in den Plattenkondensator, wo sie durch ein Mikroskop beobachtet werden können.

Sowohl die Sinkgeschwindigkeit (bei abgeschaltetem elektrischen Feld) als auch bei der anschließenden Steiggeschwindigkeit (bei eingeschaltetem Feld) sind in der Größenordnung von wenigen zehntel Millimeter pro Sekunde (\(\approx 10^{-4}\;\mathrm{m}/\mathrm{s}\)). Das Mikroskop besitzt eine Skala mit Strichen (Abstand \(30\;\mathrm{\mu m}\)) (Bild A.18). Mithilfe einer Stoppuhr wird die Sinkzeit gemessen, die das Tröpfchen für die Bewegung zwischen zwei Skalenstrichen benötigt. Aus dem Abstand und der Zeit wird die konstante Sinkgeschwindigkeit berechnet. Beachte: Das Mikroskop vertauscht oben und unten – sinkende Öltröpfchen wandern daher im Film nach oben und umgekehrt.

Geladenes Öltropfchen beim Millikan Experiment, wie es durch das Mikroskop gesehen wird.

Bild A.18: Geladenes Öltropfchen beim Millikan Experiment, wie es durch das Mikroskop gesehen wird.

Durch wiederholtes Ein- und Ausschalten des Kondensatorfeldes (wiederholtes Steigen und Sinken) lässt sich ein einzelnes Öltröpfchen über einen langen Zeitraum beobachten und messen. Das erhöht die Genauigkeit der Messung.

Links:

A.4.4 Ergebnis

Trägst du die Messergebnisse der Öltröpfchen Ladungen beim Millikan-Versuch in einem Diagramm ein, erhältst du die Verteilung in Bild A.19.

Versuchsergebnisse beim Millikan-Versuch

Bild A.19: Versuchsergebnisse beim Millikan-Versuch

Deutlich kannst du erkennen, dass die Ladung nicht gleichmäßig verteilt ist, sondern sich bei bestimmten Ladungswerten häuft. Ladung kommt immer als ganzzahliges Vielfaches einer kleinsten Ladungsmenge in der Natur vor – sie ist eine gequantelte Größe. Diese kleinste Ladungsmenge ist die Elementarladung \(e\).

A.4.5 Historische Bedeutung

Durch Ablenkversuche mit dem Fadenstrahlrohr war das Verhältnis von Ladung und Masse des Elektrons \(e/m_e\) zuvor schon mit hoher Genauigkeit bestimmt worden, aber weder die Ladung \(e\) des Elektrons noch die Masse \(m_e\) selbst konnten genauer gemessen werden.

Durch das Millikan-Experiment – einige bezeichnen es als das eleganteste Experiment in der Geschichte der Physik – konnte um 1900 nicht nur die Quantelung der Ladung eindrucksvoll gezeigt werden, sondern auch die Elementarladung \(e\) mit größerer Genauigkeit bestimmt werden. Robert Millikan erhielt 1923 dafür sowie für seine experimentelle Bestimmung der Größe des Plancksche Wirkungsquantum den Nobelpreis für Physik.

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