12.1 Ladung und Reibungselektrizität

In Bild 12.2 siehst du Bernstein (versteinertes Baumharz).

Bernstein

Bild 12.2: Bernstein

Reibst du Bernstein an einem Fell, werden Haare oder andere kleine Körper angezogen. Dieses Phänomen ist mindestens schon seit der Antike bekannt. Aber erst im 16. Jahrhundert wurden elektrische Phänomene systematisch untersucht, und es wurde die Ursache für die elektrische Kraft gefunden.

Bernstein heißt auf Griechisch ηλεκτρόν („elektron“). Sowohl der Name für das Elektron als auch für das Wort Elektrizität leiten sich davon ab.

12.1.1 Quellen elektrischer Kräfte

Elektrische Effekte sind eine Folge einer Eigenschaft der Materie, die elektrische Ladung (engl. electric charge) genannt wird. Experimente wie in Bild 12.3 zeigen, dass es anziehende und abstoßende elektrische Kräfte gibt.

Anziehende (links) und abstoßende elektrische Kräfte (rechts)

Bild 12.3: Anziehende (links) und abstoßende elektrische Kräfte (rechts)

Daraus kann auf die Existenz von zwei unterschiedlichen Arten von Ladungen geschlossen werden. Benjamin Franklin hat die Bezeichnungen Positiv und Negativ zur Unterscheidung beider Arten von Ladungen eingeführt. Dabei gilt:

  • gleichnamige Ladungen stoßen einander ab (\(\oplus\)-\(\oplus\), \(\ominus\)-\(\ominus\))
  • ungleichnamige Ladungen ziehen einander an (\(\oplus\)-\(\ominus\), \(\ominus\)-\(\oplus\))

Die Zuordnung wurde dabei willkürlich vorgenommen und hat keine physikalische Bedeutung. Positive und negative Ladung sind nur Bezeichnungen für gegensätzliche Eigenschaften und bedeuten nicht ein Zuwenig oder Zuviel von etwas.

12.1.2 Quantelung der Ladung

Durch den von Robert Millikan erdachten und von ihm durchgeführten Öltröpfchen-Versuch konnte um 1900 gezeigt werden, dass jede in der Natur vorkommende Ladungsmenge gequantelt (ein ganzzahliges Vielfaches derselben Portion) ist. Diese kleinste Ladung wird Elementarladung \(e\) (engl. elementary charge) genannt und ist eine Naturkonstante. Ihre Größe ist:

\[\begin{equation} e =1{,}6\cdot 10^{-19}\;\mathrm{C} \tag{12.1} \end{equation}\]

Das \(\text{C}\) steht für die Einheit Coulomb, die im folgenden Abschnitt definiert wird.

Das \(Q\) als Formelzeichen für die Ladung leitet sich von dem lateinischen Wort Quantum ab und bedeutet so viel wie „eine bestimmte Anzahl von etwas“.

Vorsicht: Verwechsle nicht den Begriff der Elementarladung mit der viel größeren Einheitsladung (also der Ladungsmenge von \(1\;\mathrm{C}\))!

Du wunderst dich vielleicht, dass \(1\;\mathrm{C}\) nicht als die Ladungsmenge der Elementarladung festgelegt wurde – eigentlich eine logische Wahl, wenn es eine kleinste Ladung gibt. Der Grund ist, dass das Vorhandensein einer Elementarladung erst später entdeckt wurde, als die Einheit Coulomb schon definiert und verwendet wurde. Außerdem wäre die Elementarladung für alltägliche Ladungsmengen eine zu kleine Einheit.

Nach heutigem Verständnis sind einige schwere Teilchen wie zum Beispiel das Proton oder das Neutron nicht elementar und bestehen noch aus weiteren Bausteinen, den sogenannten Quarks. Die elektrische Ladung der Quarks ist entweder \(-1/3\) oder \(+2/3\) der Elementarladung. Quarks können aber einzeln nicht beobachtet werden. Sobald ein Teilchen in seine Quarks zerfällt, bilden sich sofort neue elektrisch neutrale oder ganzzahlig geladene Teilchen aus ihnen. Der Begriff Elementarladung ist also gerechtfertigt.

12.1.3 Einheit der Ladung

Die SI-Einheit der elektrischen Ladung ist das Coulomb, benannt nach Charles Augustin de Coulomb.

Definition der Ladungseinheit Coulomb

Bild 12.4: Definition der Ladungseinheit Coulomb

Die elektrische Ladung ist über die elektrische Stromstärke, die wir später kennenlernen werden, festgelegt. Bei einem elektrischen Strom von \(1\;\mathrm{A}\) tritt in der Dauer von \(1\;\mathrm{s}\) die Ladungsmenge von \(1\;\mathrm{C}\) durch den Leiterquerschnitt (Bild 12.4):

\[ [Q] = 1\;\mathrm{A}\cdot\mathrm{s} = 1\;\mathrm{C} \]

Das Coulomb wird daher auch als Amperesekunde bezeichnet.

Das Coulomb ist für alltägliche Verhältnisse eine relativ große Einheit. In Beispielen findest du daher oft sogar nur \(\mathrm{\mu C}\).

12.1.4 Ladung von Atomen

Elementarteilchen können positive, negative oder keine elektrische Ladung besitzen. Für die Bausteine eines gewöhnlichen Atoms gilt:

  • Elektronen besitzen genau eine negative Elementarladung (\(-e\)).
  • Protonen besitzen genau eine positive Elementarladung (\(+e\)).
  • Neutronen besitzen keine elektrische Ladung.

Normale Atome besitzen gleich viele Elektronen in der Hülle wie Protonen im Kern. Die Gesamtladung eines Atoms ist daher null – es ist nach außen elektrisch neutral.

Obwohl Proton und Elektron – bis auf das Vorzeichen – identische Ladungen besitzen, sind sie sonst sehr unterschiedliche Teilchen. Zum Beispiel sind Neutron und Proton rund 2000 Mal massereicher als das Elektron (Bild 12.5).

Massen- und Ladungsvergleich Atombausteine

Bild 12.5: Massen- und Ladungsvergleich Atombausteine

Da sich gleichnamige elektrische Ladungen abstoßen, werden im Kern zusätzlich Neutronen gebraucht, um den Kern zusammenzuhalten. Die einzige Ausnahme ist das leichteste Element – der Wasserstoff. Wasserstoffatome tragen nur ein einziges Proton im Kern – er ist auch ohne Neutronen stabil.

Werden Elektronen aus der Hülle von Atomen entfernt oder nimmt ein Molekül zusätzliche Elektronen auf, ist es elektrisch geladen. Ein elektrisch geladenes Atom oder Molekül wird als Ion bezeichnet. Ein positiv geladenes Ion heißt Kation und ein negativ geladenes Ion Anion.

12.1.5 Ladung ist eine Erhaltungsgröße

Heute wissen wir: Beim Vorgang des Reibens zweier Stoffe werden keine neuen Ladungen erzeugt. Es werden lediglich schon vorhandene Ladungsträger von einem Körper auf einen anderen Körper übertragen.

Die Erfahrung zeigt uns, dass Ladung neben der Energie und dem Impuls eine weitere Erhaltungsgröße ist. Es gilt der Ladungserhaltungssatz (engl. charge conservation):

In einem abgeschlossenen System bleibt die Gesamtladung erhalten, daher ist die Summe aus positiven und negativen Ladungen konstant.

Unter bestimmten extremen Bedingungen lassen sich auch Ladungen vernichten und erzeugen. Aber der Ladungserhaltungssatz gilt auch in diesen Fällen, weil sie immer nur paarweise erzeugt (Paarerzeugung) oder vernichtet (Paarvernichtung) werden können. Wird eine positive Ladung geschaffen, entsteht auch immer eine gleich große negative Ladungsmenge.

12.1.6 Ladungstrennung durch Reibung

Von einigen Stoffen – wie zum Beispiel Luftballon und menschlichem Haar – weißt du aus Erfahrung, dass sie sich gut für das Trennen von Ladungen durch Reibung eignen. Aber sind nach dem Reiben die Haare oder der Luftballon negativ geladen? Und welche anderen Stoffe eignen sich dazu?

Auskunft darüber gibt die sogenannte berührungselektrische Spannungsreihe (engl. triboelectric series). In ihr sind Stoffe nach ihrer Elektronen-Affinität – wie groß ihr Bestreben ist, Elektronen aufzunehmen – gereiht (Bild 12.6).

Berührungselektrische Spannungsreihe

Bild 12.6: Berührungselektrische Spannungsreihe

Anhand der Spannungsreihe kannst du ablesen, dass beim Reiben aneinander,

  • der Glasstab positiv und das Wolltuch negativ
  • das Katzenfell positiv und der Hartgummistab negativ
  • dein Haar positiv und der Luftballon negativ (Bild 12.7)

geladen werden.

Elektrostatik Experimente mit korrekter Ladungsbezeichnung

Bild 12.7: Elektrostatik Experimente mit korrekter Ladungsbezeichnung

12.1.7 Elektrisiermaschinen

Elektrisiermaschinen sind Maschinen, die durch Reibung Ladungen trennen. Die bekannteste Elektrisiermaschine ist der Bandgenerator (oder Van-de-Graaff-Generator, engl. Van de Graaff generator) eine Maschine zur wiederholten Ladungstrennung durch Reibung (Bild 12.8).

Aufbau eines Bandgenerators

Bild 12.8: Aufbau eines Bandgenerators

Im einfachsten Fall wird ein umlaufendes Gummiband – im Bild als dunkler senkrechter Streifen erkennbar – unten durch Reibung elektrisch aufgeladen. Die Ladung wird durch die Bewegung des Bandes in das Innere der großen metallischen Hohlkugel darüber transportiert und dort durch eine mit der Kugel leitend verbundene Bürste vom Band „abgestreift“.