15.10 Aerodynamischer Flug

Fliegen zu können wie ein Vogel, ist ein uralter Menschheitstraum und die Geschichte der Luftfahrt ist dementsprechend lange. Schon in der griechischen Mythologie fertigt Dädalus Flügel für sich und seinen Sohn Ikarus aus Vogelfedern an, um sich in die Lüfte zu erheben.

Es dauerte noch einige Jahrhunderte, bis um 1900 die ersten Menschen mit „Maschinen schwerer als Luft“ fliegen konnte (Otto Lilienthal, Brüder Wright, Igo Etrich und viele andere Flugzeugpioniere).

Formationsflug der Red Arrows beim Rückenflug

Bild 15.70: Formationsflug der Red Arrows beim Rückenflug

Obwohl die Physik des aerodynamischen Flugs sehr schwierig ist, schaffen wir es heute, Flugzeuge zu bauen, mit denen erfahrene Piloten akrobatische Flugmanöver am Himmel vollführen können, ohne abzustürzen (Bild 15.70). In diesem Kapitel wirst du erfahren, wie aerodynamischer Auftrieb und die Steuerung von Flugzeugen funktioniert.

15.10.1 Kräfte beim Flug

Bewegt sich ein Körper mit konstanter Geschwindigkeit auf gleicher Höhe durch die Luft, heben sich die folgenden vier Kräfte auf (Bild 15.71):

  • die vorwärts gerichtete Schubkraft \(F_T\) des Triebwerks (engl. thrust)
  • die rückwärts gerichtete Luftwiderstandskraft \(F_D\) (engl. drag)
  • die aufwärts gerichtete dynamische Auftriebskraft \(F_L\) (engl. lift)
  • die abwärts gerichtete Gewichtskraft \(F_W\) des Fluggeräts (engl. weight)
Kräfte beim aerodynamischen Flug

Bild 15.71: Kräfte beim aerodynamischen Flug

15.10.2 Anstellwinkel

Der Anstellwinkel (engl. angle of attack) eines Flügels beschreibt, wie stark er gegen die anströmende Luft geneigt ist. Da ein Tragflächenprofil gebogen ist, wird üblicherweise der Winkel zwischen der angeströmten Luft und der sogenannten Profilsehne des Tragflächenprofils (Bild 15.72) genommen.

Anstellwinkel bei unterschiedlichen Tragflächenprofilen

Bild 15.72: Anstellwinkel bei unterschiedlichen Tragflächenprofilen

Je nach gewähltem Anstellwinkel ändern sich Auftriebs- und Luftwiderstandskraft.

15.10.3 Unterseite der Tragfläche

Strömt Luft gegen ein Brett mit einem Anstellwinkel größer null, werden die Luftteilchen nach unten abgelenkt. Nach der Impulserhaltung muss der Gesamtimpuls vor und nach dem Stoß aber gleich bleiben. Die Tragfläche erfährt daher einen Impuls \(P^\prime\) nach oben rechts (interaktives Bild 15.73).

lift-by-change-of-momentum

Bild 15.73: lift-by-change-of-momentum

Es wäre tatsächlich möglich, mit einem geraden Brett als Tragfläche (genügend Schubkraft vorausgesetzt) zu fliegen. Allerdings ist dies enorm ineffizient.

15.10.4 Oberseite der Tragfläche

Im Abschnitt Anhaften der Grenzschicht hast du schon erfahren, dass Luftteilchen der Oberfläche von Körpern folgen. In Bild 15.74 siehst du, wie sich die Luftteilchen um ein Flügelprofil bewegen.

Luftströmung um ein Tragflächenprofil (Zeitlupe)

Bild 15.74: Luftströmung um ein Tragflächenprofil (Zeitlupe)

Wie du siehst, werden auch die Teilchen oberhalb der Tragfläche durch Anhaften der Grenzschicht nach unten abgelenkt. Die Oberseite liefert damit ebenfalls einen wesentlichen Beitrag zum Gesamtauftrieb. Die Gesamtablenkung der Luftteilchen nach unten wird im Englischen auch als downwash bezeichnet. Beide Effekte zusammen sorgen für den aerodynamischen Auftrieb (engl. aerodynamic lift).

15.10.5 Strömungsabriss

Wie wichtig der Beitrag der Oberseite zum Gesamtauftrieb ist, siehst du beim Strömungsabriss (engl. stall). Wird die Tragfläche zu steil gegen die anströmende Luft gestellt, geht die sonst laminare Strömung auf der Oberseite des Flügels in eine turbulente Strömung mit Verwirbelung über (Bild 15.75).

Strömungsabriss und Wirbelbildung bei zu großem Anstellwinkel

Bild 15.75: Strömungsabriss und Wirbelbildung bei zu großem Anstellwinkel

In diesem Moment verliert das Flugzeug einen großen Teil seines Auftriebs und sackt ab. Verkehrsflugzeuge sind so konstruiert, dass ein Strömungsabriss zu einem Abkippen (Abtauchen) der Maschine nach vorne bewirkt, wodurch die laminare Strömung wiederhergestellt wird.

15.10.6 Randwirbel

Am Flügelende treffen die Bereiche mit Unterdruck an der Oberseite und die Bereiche mit Überdruck (Bild 15.76, Stelle a) an der Unterseite des Flügels (Stelle b) aufeinander. Bei dem an der Flügelspitze entstehenden Druckausgleich kommt es zu einem seitlichen Wirbel (Stelle c).

Entstehung von Randwirbeln am Ende einer Tragfläche

Bild 15.76: Entstehung von Randwirbeln am Ende einer Tragfläche

Einerseits verkleinern die Randwirbel den Auftrieb des Flugzeugs. Durch die ständige Wirbelbildung an den Flügelenden lässt das Flugzeug aber auch zwei Wirbelschleppen (engl. wake turbulence) hinter sich zurück. Das begrenzt die Start-Intervalle von Flugzeugen auf einer Piste. Die verwirbelte Luft muss sich nach einem Start soweit wieder beruhigen, dass ein sicheres Starten der nächsten Maschine möglich ist.

Aus diesen Gründen werden große Flugzeuge so gebaut, dass die Entstehung von Randwirbeln (engl. wingtip vortices) so gut wie möglich verhindert wird. Dazu ist das Ende der Tragfläche nach oben gebogen („winglets“, Bild 15.77).

Winglets am Ende einer Tragfläche

Bild 15.77: Winglets am Ende einer Tragfläche

15.10.7 Höhen-, Quer- und Seitenruder

Um die Lage eines Flugzeuges im Raum zu verändern, gibt es Höhen-, Quer- und Seitenruder (Bild 15.78).

Rotationachsen und Ruder eines Flugzeug

Bild 15.78: Rotationachsen und Ruder eines Flugzeug

Die Höhenruder (engl. elevators) befindet sich im Heck der Maschine und bewirken ein Senken oder Heben der Nase des Flugzeugs, also eine Drehung um die Querachse (engl. pitch).

Das Seitenruder (engl. rudder) befindet sich ebenfalls im Heck der Maschine und bewirkt ein Drehen nach links oder rechts, also eine Drehung um die senkrechte Achse (engl. yaw).

Die Querruder (engl. ailerons) befinden sich auf den Tragflächen der Maschine und bewirken ein Drehen des Flugzeugs um die Längsachse (engl. roll).

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