12.4 Leiter im elektrostatischen Gleichgewicht
In Bild 12.31 siehst du den Einschlag eines Blitzes in ein Spielzeugauto.
Ein Blitzeinschlag in ein echtes Auto ist ein spektakuläres Schauspiel. Erstaunlicherweise sind die Insassen dabei nicht gefährdet.
In elektrischen Leitern (Metallen) kann sich ein Teil der Elektronen relativ frei im Körper bewegen. Verbleiben die Elektronen (abgesehen von der thermischen Bewegung) an ihren Plätzen, wird dieser Zustand elektrostatisches Gleichgewicht (engl. electrostatic equilibrum) genannt. In diesem Kapitel erfährst du mehr über diesen Zustand und über die erstaunlichen Effekte, die sich daraus ergeben.
12.4.1 Punktladung vor einer elektrisch leitenden Platte
In Bild 12.32 siehst du das Feldlinienbild, das durch eine punktförmige Ladung vor einer metallischen Platte entsteht, wenn sich die Elektronen aufgrund von elektrischer Influenz neu anordnen.
Dieses Feldlinienbild ist identisch mit dem Feldlinienbild, dass sich durch eine an der Metalloberfläche gespiegelten gedachten Ladung mit entgegengesetztem Vorzeichen ergibt (Bild 12.33).
12.4.2 Feldlinien in der Nähe von leitenden Oberflächen
Ist dir am Feldlinienbild 12.32 aufgefallen, dass es so aussieht, als würden alle Feldlinien auf die Oberfläche normal stehen. Das ist kein Zufall! Wenn sich alle Teilchen im statischen Gleichgewicht befinden, muss da so sein, wie du im Bild 12.34 erkennen kannst.
Beim obersten Elektron steht die Feldlinie nicht normal auf die Leiteroberfläche. Es erfährt daher eine Kraft \(F_1\), die sich in zwei Kraftkomponenten zerlegen lässt – \(F_{1\perp}\) steht normal zur Oberfläche und \(F_{1\parallel}\) dazu parallel. Das Elektron kann die Metalloberfläche nicht verlassen und die Kraft \(F_{1\perp}\) zeigt keine Wirkung. Im Gegensatz dazu bewirkt die Kraft \(F_{1\parallel}\) eine Verschiebung entlang der Leiteroberfläche. Das Elektron befindet sich also nicht im statischen Gleichgewicht! Die Kraft \(F_{1\parallel}\) verschwindet erst, wenn die Feldlinie normal auf die Leiteroberfläche steht und sich das Elektron nicht mehr bewegt.
Beachte: Natürlich erfährt das Elektron auch abstoßende Kräfte von seinen Nachbarelektronen. Die Summe all dieser Kräfte ist aber bereits im Feldlinienbild berücksichtigt!
In der Elektrostatik stehen die Feldlinien immer normal auf Leiteroberflächen. |
12.4.3 Feldstärke an spitzen Leiteroberflächen
Die Eigenschaft, dass Feldlinien an Leiteroberflächen immer im rechten Winkel stehen, bewirkt ein Zunehmen der Feldliniendichte mit der Krümmung der Oberfläche (Bild 12.35).
Je kleiner die Krümmung der Leiteroberfläche (je spitzer die Oberfläche), desto größer ist die Feldstärke und damit die elektrischen Kräfte. Dieses Phänomen wird Spitzenwirkung genannt und hat viele Anwendungen in der Praxis.
12.4.4 Blitzableiter
Eine Anwendung der Spitzenwirkung ist der Blitzableiter: An metallischen Spitzen ist die Wahrscheinlichkeit, dass Elektronen aus dem Metall abgelöst werden, am größten. Daher ist die Form von Blitzableiter ein spitzer Dorn, um eine gezielte Entladung des Blitzes an dieser Stelle zu bewirken (Spitzenentladung).
12.4.5 Elektrisches Feld im Inneren eines Leiters
Ohne die Wirkung eines elektrischen Feldes würden sich alle Elektronen im Inneren eines Leiters befinden. Sobald ein äußeres Feld vorhanden ist, bewegen sich die Elektronen gegen die Feldlinienrichtung zur Oberfläche des Leiters, bis sich ein elektrostatisches Gleichgewicht gebildet hat. Dieser Vorgang dauert nicht länger als \(10^{-15}\;\mathrm{s}\) – das Gleichgewicht stellt sich also fast unmittelbar ein! Die verschobenen Ladungen befinden sich also an der Oberfläche des Leiters (Bild 12.37, (b)).
Die so entstandene Ladungsanordnung erzeugt ihrerseits ein elektrisches Feld. Das so entstandene Gegenfeld (12.37) des influenzierten Leiters hebt das äußere elektrische Feld im Inneren des Leiters vollständig auf (Bild 12.37, (c)).
Ein elektrischer Leiter, der sich im elektrostatischen Gleichgewicht befindet, ist im Inneren immer feldfrei. |
12.4.6 Abschirmung elektrostatischer Felder
Weil das Innere eines Leiters immer elektrisch feldfrei ist schirmt ein Raum, der von einem geschlossenen oder engmaschigen geerdeten Leitermaterial umgeben ist, ein elektrostatisches Feld vollkommen ab. So ein Raumbereich wird nach Michael Faraday auch Faradayscher Käfig (engl. faraday cage) genannt.
In Bild 12.38 siehst du einen Menschen in einem Kettenhemd aus einem elektrischen Leiter. Der Faradaysche Käfig schützt ihn vor der Blitzentladung. Auch die leitende Karosserie von Fahrzeugen und die Hülle von Flugzeugen bilden einen faradayschen Käfig und schützen ihre Insassen vor Blitzentladungen. Ein Auto ist zwar zum Boden hin nicht geerdet, weil der Gummi der Reifen isoliert, aber im Falle eines Blitzeinschlags überspringt ein Blitz den geringen Abstand zum Boden und stellt so einen elektrischen Kontakt zur Erde her.