8.6 Freie und erzwungene Schwingung

Beim Downhill fahren mit dem Mountainbike (Bild 8.25) ist eine richtig eingestellt Federung eine Grundbedingung für eine verletzungsfreie Abfahrt. Ist die Dämpfung zu schwach eingestellt, neigt das Rad zum Springen und lässt sich schlechter lenken. Ist die Dämpfung zu stark eingestellt, müssen Schläge stärker von der Muskulatur des Fahrers abgefedert werden.

Downhill fahrt mit dem Mountainbike

Bild 8.25: Downhill fahrt mit dem Mountainbike

In diesem Kapitel geht um gedämpfte und erzwungene Schwingungen.

8.6.1 Phasenwinkel und Phasenverschiebung

Bisher sind wir in allen Beschreibungen von harmonischen Schwingungen immer davon ausgegangen, dass zum Zeitpunkt \(t=0\) auch die Elongation \(y=0\) ist. Die allgemeine Beschreibung einer harmonischen Schwingung erhältst du durch einen zusätzlichen Phasenwinkel \(\varphi\) (engl. phase angle) im Argument der Winkelfunktion.

\[\begin{equation} y(t) = A\cdot\sin(\omega\cdot t+\varphi) \tag{8.12} \end{equation}\]

Beachte, dass ein positiver Phasenwinkel eine Verschiebung nach links auf der Zeitachse bedeutet (interaktives Bild 8.26) und umgekehrt. Zählst du eine positive Zahl zum Argument der Winkelfunktion dazu, erreicht er schon früher seinen Wert.

Phasenwinkel einer Schwingung

Bild 8.26: Phasenwinkel einer Schwingung

Vergleichst du zwei gleichzeitig stattfindende Schwingungen mit derselben Frequenz (\(\omega_1 = \omega_2\)), unterscheiden sie sich durch eine konstante Phasendifferenz oder Phasenverschiebung \(\Delta\varphi\) (engl. phase shift).

\[ \Delta\varphi = \varphi_2-\varphi_1 \]

Du kannst 2 spezielle Phasendifferenzen unterscheiden:

  • Beträgt die Phasendifferenz \(\Delta\varphi = 0, \pm2\pi, \pm4\pi, \ldots\), werden die Schwingungen als in Phase oder gleichphasig (engl. in phase) bezeichnet.

  • Beträgt die Phasendifferenz \(\Delta\varphi = \pm\pi, \pm3\pi, \pm5\pi \ldots\) (also eine halbe Periode), werden die Schwingungen als gegenphasig (engl. in antiphase) bezeichnet.

8.6.2 Gedämpfte harmonische Schwingung

In der Natur gibt es keine ewig andauernde mechanische Schwingung. Jegliche Art von Reibung (Luftwiderstand, Lagerreibung,\(\ldots\)) führen zu einem Verlust an Bewegungsenergie und zu einer Dämpfung des Oszillators.

Gedämpfte harmonsiche Schwingung

Bild 8.27: Gedämpfte harmonsiche Schwingung

Im interaktiven Bild 8.27 siehst du das Ort-Zeit-Diagramm einer gedämpften Schwingung (engl. damped oscillation). Beachte: Obwohl die Amplitude kontinuierlich abnimmt, bleibt die Periodendauer (und damit auch die Frequenz) unverändert.

Mathematisch wird eine gedämpfte Schwingung durch das Produkt der ungedämpften Schwingung (punktierte Kurve) und einer negativen Exponentialfunktion (strichlierte Kurve) beschrieben:

\[\begin{equation} y(t) = \mathrm{e}^{- \delta\cdot t} \cdot A\cdot \sin(\omega\cdot t) \tag{8.13} \end{equation}\]

\(\delta\) ist dabei die Dämpfungskonstante. Je größer die Dämpfungskonstante, desto rascher klingt die Schwingung ab. Ist die Dämpfung so groß, dass der Oszillator überhaupt nicht schwingt, wird von einer kritisch gedämpften Schwingung (engl. critical damping) gesprochen. Ist die Dämpfungskonstante \(\delta=0\), ist \(e^0=1\) und wir erhalten wieder die Formel für die ungedämpfte Schwingung.

8.6.3 Ungedämpfte Schwingung durch Rückkopplung

Damit eine Schwingung trotz Reibungsverluste andauert, muss einem Oszillator in regelmäßigen Abständen die verloren gegangene Energiemenge von außen zugeführt werden. So wie ein Kleinkind auf einer Schaukel, das von einem Erwachsenen periodisch im richtigen Moment angeschubst wird (Ältere Kinder schaffen das auch ohne Fremdhilfe – durch periodisches Heben und Senken des Schwerpunkts).

Ankerhemmung in einer Pendeluhr

Bild 8.28: Ankerhemmung in einer Pendeluhr

In der Technik wird das Prinzip der Rückkopplung (engl. feedback) verwendet, um sicherzustellen, dass die Energie immer im richtigen Moment auf den Oszillator übertragen wird. Einer der frühesten Rückkopplungsmechanismen ist die Ankerhemmung in Pendeluhren (Bild 8.28), die Mitte des 17. Jahrhunderts von Robert Hooke erfunden wurde, und die Genauigkeit von Uhren entscheidend verbesserte.

8.6.4 Erzwungene Schwingung

Einmal angestoßen, schwingt jeder Oszillator immer mit derselben Frequenz. Diese Frequenz wird als Eigenfrequenz \(\omega_0\) (engl. natural frequency) des Oszillators bezeichnet. Im interaktiven Bild 8.29 siehst du einen Oszillator, der von außen mit einer bestimmten Erregerfrequenz \(\omega\) (engl. driving frequency) (rot Schwingung) zu einer Schwingung (blau) anregt wird.

Phasenwinkel einer Schwingung

Bild 8.29: Phasenwinkel einer Schwingung

Die angeregte Schwingung des Oszillators zeigt folgendes Verhalten:

  • Ändert sich die Erregerfrequenz , benötigt der Oszillator eine kurze Zeit (Einschwingvorgang), sich der neuen anregenden Frequenz anzupassen. Ist eine stationäre Schwingung erreicht, schwingt der Oszillator immer mit der Erregerfrequenz. Der Oszillator lässt sich also jede Frequenz „aufzwingen“.

  • Die Phasendifferenz von Oszillatorschwingung und Anregerschwingung ändert sich: Bei kleiner Anregungsfrequenz gibt es keine Phasenverschiebung. Entspricht die anregende Frequenz der Eigenfrequenz des Oszillators, hinkt der Oszillator der Erregerfrequenz eine Viertelperiode hinterher (\(\Delta\varphi=\pi/2\)). Bei sehr großen Erregerfrequenzen hinkt der Oszillator der Erregerfrequenz eine halbe Periode hinterher (\(\Delta\varphi=\pi\)) – sie sind gegenphasig.

  • Die Amplitude ändert sich mit der Erregerfrequenz . Bei kleiner Anregungsfrequenz ist die Amplitude beider Schwingungen gleich groß. Nahe der Eigenfrequenz des Oszillators ist die Amplitude am größten und kann je nach Dämpfung größer als die anregende Amplitude sein. Bei sehr großen Erregerfrequenzen sinkt die Amplitude gegen null. Die Trägheit des Oszillators verhindert, dass er der anregenden Schwingung noch folgen kann.

8.6.5 Resonanz

Das Phänomen, dass sich die Amplitude eines angeregten Oszillators nahe der Eigenfrequenz aufschaukelt, wird Resonanz (engl. resonance) genannt. Je kleiner die Dämpfung, desto größer fällt die Resonanzamplitude aus (Bild 8.30). In diesem Diagramm ist waagrecht die anregende Frequenz aufgetragen (bei 1 wird der Oszillator mit seiner Eigenfrequenz angeregt). Waagrecht ist die Amplitude des Oszillators aufgetragen (bei 1 entspricht die Amplitude des Oszillators genau der Amplitude der anregenden Schwingung).

Amplitudenverhältnis \(A_m/A_D\) gegen das Frequenzverhältnis \(\omega/\omega_0\) (bei unterschiedlicher Dämpfung D)

Bild 8.30: Amplitudenverhältnis \(A_m/A_D\) gegen das Frequenzverhältnis \(\omega/\omega_0\) (bei unterschiedlicher Dämpfung D)

„Resonanzkörper“, wie sie zur Verstärkung von Klängen in vielen Musikinstrumenten verwendet werden, sind kein Beispiel für Resonanz im physikalischen Sinn. Im Gegenteil: Ein Resonanzkörper soll im besten Fall alle Frequenzen gleich stark wiedergeben und nicht eine einzelne Frequenz (nämlich die Eigenfrequenz) hervorheben.

8.6.6 Resonanzkatastrophe

Jeder Körper hat eine Eigenfrequenz. Tritt Resonanz auf, kann es sogar zur Zerstörung des Systems führen. Eines der bekanntesten Beispiele für eine solche Resonanzkatastrophe (engl. resonance disaster) ist die Tacoma-Narrows-Brücke. Im Jahr 1940 hat vorbeiströmender Wind die Brücke zu Schwingungen angeregt. Durch das Resonanzphänomen wurden die Amplituden schließlich so groß, dass es zum Einsturz der Brücke kam (Film 8.31). Heutige Brücken und Hochhäuser werden mit entsprechenden Dämpfungsvorrichtungen ausgestattet, um solche Unfälle zu verhindern.

Einsturz der Tacoma-Narrows-Brücke (1940)

Bild 8.31: Einsturz der Tacoma-Narrows-Brücke (1940)

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