8.5 Pendel

Im letzten Kapitel hast du gesehen, dass Federpendel harmonische Oszillatoren sind. In diesem Kapitel betrachten wir Pendel und untersuchen, ob sie ebenfalls die Bewegungsgleichung eines harmonischen Oszillators

\[ a = -\omega^2\cdot y \]

erfüllen.

Stroboskopbild eines Pendels

Bild 8.19: Stroboskopbild eines Pendels

Links:

8.5.1 Fadenpendel

Hängst du ein Massestück \(m\) an einem (für unsere Überlegungen masselosen) Faden der Länge \(l\) auf, erhältst du ein Fadenpendel oder mathematisches Pendel (engl. simple pendulum) (Bild 8.20). Wir tun so, als ob die gesamte Masse des Pendelkörpers in einem Punkt konzentriert ist und vernachlässigen Lager- und Luftreibung.

Schwingendes Fadenpendel

Bild 8.20: Schwingendes Fadenpendel

Für die rücktreibende Kraft ist die Gewichtskraft verantwortlich.

Die Bewegung eines Fadenpendels ist im Allgemeinen keine(!) harmonische Schwingung! Für kleine Amplituden (\(\varphi < 8^\circ\)) verhält verhält sich ein Fadenpendel annähernd wie ein harmonischer Oszillator. In diesem Fall gilt für Frequenz \(f\) und Periodendauer \(T\):

\[\begin{equation} f = \frac{1}{2\pi}\cdot\sqrt{\frac{g}{l}} \qquad\qquad T = 2\pi\cdot\sqrt{\frac{l}{g}} \tag{8.9} \end{equation}\]

Unter der Einschränkung auf kleine Amplituden sind Frequenz und Periodendauer des Fadenpendels nur abhängig von der Fadenlänge \(l\) und dem Ortsfaktor \(g\). Insbesondere sind Frequenz und Periodendauer nicht abhängig von der Masse \(m\) des Pendelkörpers und der Anfangsamplitude \(A\)!

Aus den Formeln kannst du erkennen: Je länger der Faden des Federpendels, desto größer wird seine Periodendauer. Umgekehrt gilt: Je größer der Ortsfaktor, desto kleiner wird die Periodendauer.

Bei einer Fadenlänge von \(l=1\;\mathrm{m}\) entsprechen \(8^\circ\) ungefähr einer Amplitude von:

\[ 1\;\mathrm{m}\cdot \sin(8^\circ) = 0{,}13\ldots\;\mathrm{m} \approx 14\;\mathrm{cm} \]

8.5.2 Herleitung Fadenpendel

Kräfte am Fadenpendel

Bild 8.21: Kräfte am Fadenpendel

Im Bild 8.21 siehst du die Kräfte bei einem Fadenpendel. Die Gewichtskraft \(F_G\) kann in zwei Teilkräfte zerlegt werden: \(F_1\) entlang des Fadens und \(F_R\) normal dazu. Die Kraft \(F_1\) sorgt dafür, dass der Faden gespannt bleibt. Sie hebt sich mit der Spannkraft \(F_s\) des Fadens auf und spielt damit für die Bewegung des Fadenpendels keine Rolle. Die Teilkraft \(F_R\) ist die Rückstellkraft der Schwingung.

Als Elongation wählen wir die von der Ruhelage abweichende Bogenlänge \(y\).

Ist das Fadenpendel um den Winkel \(\varphi\) aus der Gleichgewichtslage ausgelenkt, ergibt sich für die Rückstellkraft:

\[ \begin{aligned} F_R = {} & F_G\cdot\sin(\varphi) \\ F_R = {} & -m\cdot g\cdot\sin(\varphi) \\ \end{aligned} \]

Messen wir den Winkel \(\varphi\) im Bogenmaß gilt:

\[ \varphi = \frac{\text{Bogenlänge}}{\text{Radius}} = \frac{y}{l} \]

Und wir erhalten für die Rückstellkraft:

\[ F_R = -m\cdot g\cdot\sin(\frac{y}{l}) \]

Setzen wir Rückstellkraft in das dynamische Grundgesetz ein, erhalten wir:

\[ \begin{aligned} F = {} & F_r \\ m\cdot a = {} & -m\cdot g\cdot\sin(\frac{y}{l}) \qquad\Bigr\rvert\cdot \frac{1}{m}\\ a = {} & -g\cdot\sin(\frac{y}{l}) \\ \end{aligned} \]

Da die Elongation \(y\) im Argument der Sinus-Funktion vorkommt, ist die Beschleunigung \(a\) nicht proportional zu \(y\). Damit ist die Bewegung eines Fadenpendels keine harmonische Schwingung!

Für kleine Winkel in Radiant sind \(\theta\) und \(\sin(\theta)\) fast gleich

Bild 8.22: Für kleine Winkel in Radiant sind \(\theta\) und \(\sin(\theta)\) fast gleich

Für kleine Winkel im Bogenmaß (Bild 8.22) allerdings gilt:

\[ \sin(\varphi)\approx\varphi \qquad\Rightarrow\qquad\sin(\frac{y}{l})\approx\frac{y}{l} \]

Damit erhältst du:

\[ \begin{aligned} a \approx {} & -g\cdot\frac{y}{l} \\ a \approx {} & -\frac{g}{l}\cdot y \\ \end{aligned} \]

Also einen linearen Zusammenhang zwischen der Beschleunigung \(a\) und der Elongation \(y\). Für kleine Amplituden verhält sich ein Fadenpendel annähernd wie ein harmonischer Oszillator.

Vergleichst du die Formel mit der Bewegungsgleichung eines harmonischen Oszillators, bekommst du folgenden Ausdruck für die Kreisfrequenz \(\omega\):

\[\begin{equation} \omega^2 = \frac{g}{l} \qquad\Rightarrow\qquad \omega = \sqrt{\frac{g}{l}} \tag{8.10} \end{equation}\]

Damit wissen wir die Frequenz \(f\) der Schwingung des Fadenpendels:

\[ \begin{aligned} 2\pi f = {} & \omega &\\ 2\pi f = {} & \sqrt{\frac{g}{l}} &\qquad\Bigr\rvert\cdot \frac{1}{2\pi}\\ f = {} & \frac{1}{2\pi}\cdot\sqrt{\frac{g}{l}}\\ \end{aligned} \]

Und in der Folge auch die Periodendauer \(T=1/f\):

\[ T = 2\pi\cdot\sqrt{\frac{l}{g}} \]

8.5.3 Physikalisches Pendel

Das vorgestellte Fadenpendel wird auch mathematisches Pendel (engl. simple pendulum) genannt. Bei ihm ist die gesamte Masse am Ende des Fadens in einem Punkt konzentriert.

Beispiel für ein physikalisches Pendel

Bild 8.23: Beispiel für ein physikalisches Pendel

Im Gegensatz dazu wird beim physikalischen Pendel (engl. physical pendulum) die Form und die Massenverteilung eines schwingenden Körpers (Bild 8.23) ebenfalls berücksichtigt. Die Periodendauer bei einem physikalischen Pendel ist:

\[\begin{equation} T = \frac {2 \pi} {\omega} = 2 \pi \sqrt{\frac {I} {m\cdot g\cdot l}} \tag{8.11} \end{equation}\]

Wobei hier \(l\) der Abstand von Drehpunkt zu Massenmittelpunkt des Körpers bedeutet und \(I\) das Trägheitsmoment des Körpers um den Drehpunkt ist.

8.5.4 Anwendungsbeispiel: Bestimmung der Fallbeschleunigung

Ein Astronaut auf dem Mars misst bei einem Fadenpendel mit der Fadenlänge \(l=70\;\mathrm{cm}\) (bei kleiner Amplitude) eine Periodendauer von \(T=2{,}74\;\mathrm{s}\) berechne die Fallbeschleunigung am Ort des Astronauten.

Da die Periodendauer eines Fadenpendels (bei kleinen Amplituden) nur von der Länge des Fadens und dem Ortsfaktor abhängen, kannst du ein Fadenpendel mit bekannter Länge als einfaches Messgerät für die Bestimmung der Fallbeschleunigung vor Ort verwenden.

Bevor wir den Ortsfaktor berechnen können, müssen wir aus der Gleichung für die Periodendauer die Fallbeschleunigung \(g\) explizit ausdrücken.

\[ \begin{aligned} T = {} & 2\pi\cdot\sqrt{\frac{l}{g}} &&\Bigr\rvert\:(\ldots)^2 \\ T^2 = {} & 4\pi^2\cdot\frac{l}{g} &&\Bigr\rvert\cdot g \\ T^2\cdot g = {} & 4\pi^2\cdot l &&\Bigr\rvert\cdot \frac{1}{T^2} \\ g = {} & \frac{4\pi^2\cdot l}{T^2} \\ \end{aligned} \]

Einsetzen der Werte liefert das Ergebnis

\[ g = \frac{4\pi^2\cdot 0{,}7\;\mathrm{m}}{(2{,}74\;\mathrm{s})^2} = 3{,}68\ldots\;\mathrm{m}/\mathrm{s}^2 \]

für den Ortsfaktor.

8.5.5 Anwendungsbeispiel: Sekundenpendel

Berechne die Fadenlänge eines Sekundenpendels auf der Erde (\(g=9.81\;\mathrm{m/s^2}\)), dessen Periodendauer (für kleine Amplituden) \(2\;\mathrm{s}\) beträgt.

Schwingendes Fadenpendel

Bild 8.24: Schwingendes Fadenpendel

Als Sekundenpendel (engl. seconds pendulum) wird ein Pendel bezeichnet, das im Sekundentakt „schlägt“. Unter einem „Schlag“ ist in der Uhrmacherei eine halbe Schwingung gemeint (Bild 8.24). Die Periodendauer eines Sekundenpendels beträgt daher zwei Sekunden.

In der Angabe steht „für kleine Amplituden“. Wir können daher das Pendel als harmonischen Oszillator behandeln. Die Formel für die Periodendauer eines solchen mathematischen Pendels lautet (Gleichung (8.9)):

\[ T = 2\pi\cdot\sqrt{\frac{l}{g}} \]

Vor dem Einsetzen müssen wir die Fadenlänge \(l\) noch explizit ausdrücken:

\[ \begin{aligned} 2\pi\cdot\sqrt{\frac{l}{g}} = {} & T \qquad\Bigr\rvert\: (\ldots)^2 \\ 4\pi^2\cdot\frac{l}{g} = {} & T^2 \qquad\Bigr\rvert\cdot g \\ 4\pi^2\cdot l = {} & g \cdot T^2 \qquad\Bigr\rvert\cdot \frac{1}{4\pi^2} \\ l = {} & \frac{g \cdot T^2}{4\pi^2} \\ \end{aligned} \]

Einsetzen der Werte für die Fallbeschleunigung (\(g=9.81\;\mathrm{m/s^2}\)) und die Periodendauer (\(T=2\;\mathrm{s}\)) liefert die gesuchte Fadenlänge:

\[ l = \frac{9.81 \cdot (2)^2}{4\pi^2} = 0.99\;\mathrm{m} \]

Dass die Fadenlänge eines Sekundenpendels fast genau einem Meter entspricht, ist übrigens kein Zufall. Denn ursprünglich war angedacht, die Längeneinheit Meter über die Fadenlänge eines Sekundenpendels zu definieren. Da sich die Fallbeschleunigung selbst auf der Erde von Ort zu Ort leicht ändert, eignet sich die Fadenlänge eines Sekundenpendels nicht für eine exakte Längen-Definition. Die damalige Festlegung der Einheit Meter über das Urmeter weicht aber nur geringfügig von dieser Länge ab.

Aus der Formel für die Periodendauer eines Pendels (Gleichung (8.9)) leitet sich auch der – auf den ersten Blick verblüffende – Zusammenhang zwischen der Kreiszahl \(\pi\) und der Fallbeschleunigung her. Setzen wir die Werte \(l = 1\;\mathrm{m}\) und \(T = 2\;\mathrm{s}\) ein, erhalten wir aus der Gleichung den Zusammenhang \(\pi^2 = g\).

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