9.4 Stehende Wellen
In Kapitel Ausbreitung von Wellen (9.2) hast du über die Überlagerung von Wellen kennengelernt und im Kapitel über begrenzte Wellenmedien (9.3) über die Reflexion von Wellen. In diesem Kapitel werden wir das Wissen aus beiden Kapiteln zusammenführen.
In der Abbildung 9.24 siehst du ein Rubenssches Flammenrohr, mit dem stehende Schallwellen spektakulär sichtbar gemacht werden können.
9.4.1 Stehende Welle
Überlagern sich zwei in entgegengesetzter Richtung laufende Wellen mit gleicher Frequenz (Wellenlänge), entsteht eine stehende Welle (engl. standing wave).
In der überlagerten Welle (interaktives Bild 9.25) ist keine Ausbreitungsrichtung erkennbar. Du kannst Stellen ohne Bewegung (Wellenknoten (engl. nodes)) (grüne Punkte) und Stellen maximaler Bewegung (Wellenbäuche (engl. antinodes)) erkennen.
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- Video: Stehende Wasserwellen
9.4.2 Eigenschwingungen bei zwei festen Enden
In einem begrenzten Medium mit zwei festen Enden (zum Beispiel einer Saite auf einem Saiteninstrument) überlagert sich eine angeregte Welle mit seinen Reflexionen. Bei der Anregung mit bestimmten Frequenzen ergibt sich dabei eine stehende Transversalwelle. Diese Frequenzen werden Eigenschwingungen (engl. modes) der Saite genannt. Die Eigenschwingung mit der kleinsten Frequenz wird als Grundschwingung (engl. fundamental frequency) bezeichnet, alle anderen werden Oberschwingungen (engl. overtones) genannt.
Da sich die Saite an den Enden nicht bewegen kann, müssen sich an diesen beiden Stellen immer Wellenknoten der stehenden Welle befinden.
In Bild 9.26 siehst du die ersten sieben Eigenschwingungen einer Saite. Im einfachsten Fall gibt es nur zwei Schwingungsknoten, jeweils am Anfang und am Ende der Saite. In diesem Fall ist die Länge \(L\) der Saite gerade eine halbe Wellenlänge lang.
\[ L = \lambda\cdot 1/2 \]
Für drei Knoten entlang der Saite ist die Wellenlänge genau die Länge der Saite (oder zwei halbe Wellenlängen).
\[ L = \lambda\cdot 2/2 \]
Allgemein gilt für die \(n\)-te Eigenschwingung die Beziehung:
\[\begin{equation} L = \lambda\cdot n/2 \qquad n=1,2,3,4,\ldots \tag{9.3} \end{equation}\] |
Im selben Verhältnis, wie die Wellenlängen \(\lambda\) für die Oberschwingungen abnehmen, nehmen die Frequenzen zu. In dem Hörbeispiel Audio abspielen werden der Grundton (\(110\;\mathrm{Hz}\)) und die ersten 16 Obertöne der Reihe nach gespielt (\(220\;\mathrm{Hz}\), \(330\;\mathrm{Hz}\), \(440\;\mathrm{Hz}\),…).
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9.4.3 Eigenschwingungen bei einem festen und einem losen Ende
Die Flöten einer Panflöte sind an einem Ende offen, am anderen Ende geschlossen (gedeckte Pfeife). Mit der Länge \(L\) einer Flöte entsteht damit ein begrenztes Wellenmedium mit einem festen und einem offenen Ende. Bei der Anregung mit bestimmten Frequenzen ergibt sich dabei eine stehende Longitudinalwelle. Die Luftbewegung für die Grundschwingung siehst du in Bild 9.27
Schwingungsknoten einer Luftsäule entsprechen den Stellen, an denen sich die Luftmoleküle nicht bewegen. Die Schwingungsbäuche entsprechen den Stellen in der Luftsäule, an denen sich die Luftmoleküle maximal bewegen.
In der Grundschwingung erkennen wir ein Viertel der Wellenlänge. Daher gilt:
\[ L = \lambda\cdot 1/4 \]
Fügen wir einen Schwingungsknoten hinzu, entspricht das der ersten Oberschwingung (Bild 9.28, 2). Die dunklen Stellen zeigen die Schwingungsknoten an.
Die Länge des Wellenmediums entspricht jetzt drei Viertel einer Wellenlänge
\[ L = \lambda\cdot 3/4 \]
Allgemein gilt für die \(n\)-te Eigenschwingung die Beziehung:
\[\begin{equation} L = \lambda\cdot\frac{2n-1}{4} \qquad n=1,2,3,4,\ldots \tag{9.4} \end{equation}\] |
Wenn du normal eine Flöte anbläst, hörst du immer die Grundschwingung. Wenn du sehr kräftig die Flöte anbläst, kommt es zur Anregung mit der zweiten Eigenschwingung. Diese Technik wird Überblasen genannt. Beachte, dass die Frequenz der ersten Oberschwingung nicht das Doppelte der Grundschwingung ist. Der überblasene Ton einer Panflötenpfeife ist eine Duodezime höher als ihr Grundton.
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9.4.4 Eigenschwingungen bei zwei losen Enden
Eine Blockflöte ist ein Beispiel für eine auf beiden Seiten offene Flöte. Mit der Länge \(L\) der Flöte entsteht damit ein begrenztes Wellenmedium mit zwei offenen Enden. Bei der Anregung mit bestimmten Frequenzen ergibt sich dabei eine stehende Longitudinalwelle. Die Luftbewegung für die Grundschwingung siehst du in Bild 9.29
In der Mitte der Flöte befindet sich ein Schwingungsknoten. In der Grundschwingung kannst du eine halbe Wellenlänge entdecken. Daher gilt:
\[ L = \lambda\cdot 1/2 \]
Fügen wir einen Schwingungsknoten hinzu, entspricht das der ersten Oberschwingung (Bild 9.30, 2). Die dunklen Stellen zeigen die Schwingungsknoten an.
Die Länge des Wellenmediums entspricht jetzt genau einer Wellenlänge, also:
\[ L = \lambda\cdot 2/2 \]
Allgemein gilt für die \(n\)-te Eigenschwingung die Beziehung:
\[\begin{equation} L = \lambda\cdot n/2 \qquad n=1,2,3,4,\ldots \tag{9.5} \end{equation}\] |
Also genau dieselben Beziehungen wie bei zwei festen Enden (9.4.2). Wenn du normal eine Flöte anbläst, hörst du immer die Grundschwingung. Wenn du sehr kräftig die Flöte anbläst, kommt es zur Anregung mit der zweiten Eigenschwingung. Diese Technik wird Überblasen genannt. Da die Frequenz der Oberschwingung immer genau das Doppelte der vorherigen Schwingung ist, erhältst du durch Überblasen bei der Blockflöte einen um eine Oktave höheren Ton.
9.4.5 Zweidimensionale Eigenschwingungen
Die Schwingungsmembran einer Trommel ist ein Beispiel für ein zweidimensionales, begrenztes Wellenmedium. Die hier möglichen stehenden Wellen (Eigenschwingung) hängen nicht nur von Größe, sondern auch von der geometrischen Form der Membran (Kreis, Rechteck,…) ab. Statt Knotenpunkten treten hier Knotenlinien auf. In Bild 9.31 siehst du ein Beispiel für so eine zweidimensionale stehende Welle.
Mitte des 18. Jahrhunderts hat der deutsche Physiker Ernst Chladni eine sehr einfache Methode gefunden, die Knotenlinien von stehenden Wellen einer Membran sichtbar zu machen. Dabei werden auf fix montierte Metallplatten Sand gestreut und anschließend mit einem Geigenbogen seitlich zum Schwingen gebracht. Der Sand sammelt sich an den Kontenlinien, wo die Membran keine Bewegung ausführt, und es entstehen die charakteristischen Chladnische Klangfiguren (Bild 9.32).
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