9.2 Ausbreitung von Wellen

Beobachtest du ein Feuerwerk aus großer Entfernung (9.11), merkst du eine deutliche Verzögerung zwischen der sichtbaren Explosion des Feuerwerkskörpers und dem hörbaren Knall. Das liegt an der unterschiedlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit von Licht und Schall.

Feuerwerk aus großer Entfernung

Bild 9.11: Feuerwerk aus großer Entfernung

In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit der Geschwindigkeit, mit der sich Wellen in einem Medium ausbreiten.

9.2.1 Grundgleichung der Wellenlehre

In Bild 9.12 siehst du eine Welle, die gerade erst beginnt, sich in dem Wellenmedium auszubreiten. Zum Zeitpunkt \(t=0\) beginnt der erste Oszillator (links) seine harmonische Bewegung. Warten wir die Zeit \(T\) (eine Periodendauer) hat der erste Oszillator einen vollständigen Zyklus durchlaufen. In dieser Zeit hat sich die Welle genau eine Wellenlänge \(\lambda\) nach rechts ausgebreitet.

Beispiel für eine entstehende Transversalwelle

Bild 9.12: Beispiel für eine entstehende Transversalwelle

Für die Ausbreitungsgeschwindigkeit \(c\) der Welle ergibt sich damit:

\[ c=\frac{\Delta s}{\Delta t}=\frac{\lambda}{T} \]

Ersetzen wir jetzt noch die Periodendauer \(T\) durch die Frequenz \(f\) der Oszillatoren mit \(f=1/T\), erhältst du die

Grundgleichung der Wellenlehre:

\[\begin{equation} c=\lambda\cdot f \tag{9.1} \end{equation}\]

Vorsicht: Bei Wellen gibt es mehrere Geschwindigkeiten. Einerseits gibt es die Geschwindigkeit \(v\) der einzelnen Oszillatoren um ihre Ruhelage (auch Schnelle des Oszillators genannt). Auf der anderen Seite gibt es die Geschwindigkeit der Ausbreitung eines Wellenberges \(c\) (Phasengeschwindigkeit).

9.2.2 Kopplungskräfte und Geschwindigkeit einer Welle

Die Frequenz einer Welle ist durch die Quelle bestimmt und nicht durch das Medium, in dem sie sich ausbreitet. Wie bei der erzwungenen Schwingung lässt sich einem Wellenmedium jede Frequenz aufzwingen. Die Stärke der Koppelung zwischen den Oszillatoren bestimmt die Ausbreitungsgeschwindigkeit und die Wellenlänge. Daher ändern sich diese Größen bei unterschiedlichen Wellenmedien. Die Frequenz einer Welle ist somit konstant und kann weder durch Brechung, Beugung noch durch Reflexion an ruhenden Objekten verändert werden.

Generell hängt die Ausbreitungsgeschwindigkeit von den physikalischen Eigenschaften des Wellenmediums ab (Dichte, Temperatur, Molekular- und Bindungskräfte). Wie schnell ein Oszillator auf die Störung seines Nachbars reagiert, hängt von den Kopplungskräften ab. Je größer die Kraft, die auf einen Oszillator wirkt, desto größer seine Beschleunigung und desto größer die Ausbreitungsgeschwindigkeit. Nach Grundgleichung der Wellenlehre folgt aus einer größeren Ausbreitungsgeschwindigkeit eine kleinere Wellenlänge.

Die unterschiedlichen Kopplungskräfte in Gasen, Flüssigkeiten und Festkörpern machen sich bei der Schallgeschwindigkeit bemerkbar. Bei einer Temperatur von \(20^\circ\mathrm{C}\) und einem Luftdruck von \(1\;\mathrm{bar}\) breitet sich eine Schallwelle an Luft mit einer Geschwindigkeit von rund \(340\;\mathrm{m/s}\) aus. In Wasser ist die Geschwindigkeit schon rund \(1500\;\mathrm{m/s}\) und in Stahl sogar \(5900\;\mathrm{m/s}\) (vergleiche Schallgeschwindigkeiten in verschiedenen Medien). Beachte: Die Zunahme der Schallgeschwindigkeit ist eine Folge der Kopplungskräfte und nicht der Dichte der Stoffe. Es gilt sogar: Je dichter der Stoff, desto kleiner ist die Schallgeschwindigkeit bei gleichen Kopplungskräften.

9.2.3 Wellengleichung

Die Wellengleichung (engl. wave equation) beschreibt die Elongation \(y\) eines Oszillators am Ort \(x\) zu einem Zeitpunkt \(t\). Es handelt sich daher um eine Funktion mit zwei Parametern \(y=f(x,t)\). Sie lautet:

\[\begin{equation} y=A\cdot\sin(\omega\cdot t-k\cdot x) \tag{9.2} \end{equation}\]

Da eine Welle aus einer Reihe von Oszillatoren besteht, ist es nicht verwunderlich, dass die Wellengleichung ähnlich aufgebaut ist wie die Gleichung eines harmonischen Oszillators, besitzt aber noch einen zusätzlichen Ausdruck für die Stelle \(x\):

Die einzelnen Größen bedeuten im Einzelnen:

  • \(A\) ist die Amplitude der Welle (Amplitude der Oszillatoren)
  • \(\omega\) ist die Kreisfrequenz. In ihr steckt die Frequenz \(f\) der Welle (\(\omega = 2\pi f\)).
  • \(k\) ist die sogenannte Wellenzahl (engl. wave number). In ihr steckt die Wellenlänge \(\lambda\) der Welle:

\[ k = \frac{2\pi}{\lambda} \]

Wenn du die Wellengleichung zeichnen möchtest, hast du zwei Möglichkeiten:

  1. Wählst du für \(t\) einen fixen Zeitpunkt, erhältst du das Foto der Welle zu diesem Zeitpunkt.

  2. Wählst du eine fixe Stelle \(x\) entlang des Wellenmediums, erhältst du das Orts-Zeit-Diagramm des Oszillators an dieser Stelle.

Diese Wellengleichung gilt sowohl für Transversalwellen als auch für Longitudinalwellen.

9.2.4 Herleitung der Wellengleichung

Stell dir eine harmonische Transversalwelle auf einer Saite vor. Wir möchten die Elongation für jeden Punkt des Wellenmediums zu einem bestimmten Zeitpunkt \(t\) berechnen. Die Elongation für den ersten Oszillator kannst du dir mithilfe der Gleichung für die Elongation einer harmonischen Schwingung berechnen.

\[ y(t) = A\cdot\sin(\omega\cdot t) \]

Alle anderen Oszillatoren des Wellenmediums bewegen sich zwar ebenfalls mit derselben Frequenz, aber zeitversetzt. Ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle \(c\), benötigt eine Störung die Zeit \(t=x/c\), um vom Beginn des Wellenmediums an die Stelle \(x\) zu gelangen. Der Oszillator an der Stelle \(x\) bewegt sich daher um die Zeit \(x/c\) später als der erste Oszillator – die Zeitverschiebung ist also \(-x/c\). Seine Elongation kann daher mit

\[ y(x,t) = A\cdot\sin(\omega\cdot \left(t-\frac{x}{c}\right)) \]

beschrieben werden. Um diese Gleichung zu vereinfachen, drücken wir zunächst die Ausbreitungsgeschwindigkeit \(c\) als Vielfaches der Kreisfrequenz \(\omega\) aus.

\[ \begin{aligned} c = {} & \lambda\cdot f &&\Bigr\rvert\;\omega = 2\pi f \rightarrow f= \frac{\omega}{2\pi}\\ c = {} & \frac{\lambda\cdot\omega}{2\pi} &&\Bigr\rvert\;\frac{1}{(\ldots)} \\ \frac{1}{c} = {} & \frac{2\pi}{\lambda\cdot\omega} \\ \end{aligned} \]

Einsetzen in die Gleichung liefert:

\[ \begin{aligned} y(x,t) = {} & A\cdot\sin(\omega\cdot \left(t-\frac{2\pi}{\lambda\cdot\omega}\cdot x\right)) \\ y(x,t) = {} & A\cdot\sin(\omega\cdot t-\frac{2\pi}{\lambda}\cdot x) \\ \end{aligned} \]

Führen wir die Größe \(k\) (Wellenzahl) für

\[ k = \frac{2\pi}{\lambda} \]

ein, vereinfacht sich die Gleichung weiter und wir erhalten die Wellengleichung:

\[ y(x,t) = A\cdot\sin(\omega\cdot t-k\cdot x) \]

9.2.5 Ungestörte Überlagerung von Wellen

Begegnen sich zwei Wellenpakete, die sich in einem Medium in unterschiedliche Richtungen ausbreiten, passiert… nichts. Beide Wellen überlagern sich und laufen anschließend weiter, als wäre das andere Wellenpaket nie da gewesen (interaktives Bild 9.13). Das ist mit einer ungestörten Überlagerung von Wellen in einem Medium gemeint. Das ist ein weiteres Beispiel für Superposition in der Natur.

Beispiel für eine Longitudinal-Welle

Bild 9.13: Beispiel für eine Longitudinal-Welle

Die Überlagerung von Wellen folgt denselben Regeln wie die Überlagerung von Schwingungen. Die Auslenkung an einer Stelle des Wellenmediums ist die Summe der Auslenkungen aller Teilwellen an dieser Stelle.

Insbesondere gilt damit der Satz von Fourier auch für Wellen.

Ist dir aufgefallen, dass es im interaktiven Bild 9.13 beim Zusammentreffen der Wellenpakete einen Zeitpunkt gibt, wo überhaupt keine Wellen zu sehen ist? Wo ist die Wellenenergie hin verschwunden? Bedenke, dass ein Foto nur die potenzielle Energie der Oszillatoren im Wellenmedium zeigt. Die Wellenenergie steckt in der Geschwindigkeit (Schnelle) der Oszillatoren, die zu diesem Zeitpunkt alle gerade die Gleichgewichtslage passieren.

Links:

9.2.6 Dispersion

Alle Wellenmedien besitzen eine Eigenschaft, die Dispersion (engl. dispersion) genannt wird. Wellen mit unterschiedlicher Wellenlänge (Frequenz) breiten sich unterschiedlich schnell in diesem Medium aus.

Dispersion in einem Wellenmedium

Bild 9.14: Dispersion in einem Wellenmedium

Besitzt ein Wellenpaket harmonische Anteile mit unterschiedlicher Frequenz, kommt es zu einem „Zerfließen“ des Wellenpaketes (Bild 9.14). In den meisten Wellenmedien steigt die Ausbreitungsgeschwindigkeit mit zunehmender Wellenlänge.

9.2.7 Gruppengeschwindigkeit

Wandern zwei harmonische Wellen mit unterschiedlicher Frequenz entlang eines Mediums, ändert sich aufgrund der Dispersion ihre Phasenbeziehung ständig. Die Überlagerung der Wellen führt zu einer „Hüllwelle“ und einer „Trägerwelle“, die innerhalb der Hüllwelle liegt (Bild 9.15):

  • Phasengeschwindigkeit \(v_p\) (rotes Rechteck): Die Geschwindigkeit, mit der sich ein Wellenberg (die Phase) ausbreitet. Sie kann beliebig groß sein, übermittelt aber keinen Informationsgehalt. Sie entspricht der Ausbreitungsgeschwindigkeit \(c\).

  • Gruppengeschwindigkeit \(v_g\) (grüne Punkte): Die Geschwindigkeit, mit der sich der Amplitudenverlauf (Hüllkurve) ausbreitet. Mit dieser Geschwindigkeit wird die Energie und Information übertragen.

Phasengeschwindigkeit (blau) und Gruppengeschwindigkeit (grün)

Bild 9.15: Phasengeschwindigkeit (blau) und Gruppengeschwindigkeit (grün)

Breitet sich eine harmonische Welle mit einer einzigen Frequenz im Medium aus, sind Phasen- und Gruppengeschwindigkeit gleich groß. Sie entspricht dann der Ausbreitungsgeschwindigkeit \(c\) in der Grundgleichung der Wellenlehre.

Die zeitliche Analogie zur Hüllwelle ist die Schwebung.

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