11.7 Totalreflexion und Grenzwinkel

In Bild 11.57 siehst du eine Meeresschildkröte und ihr Spiegelbild an der Wasseroberfläche.

Meeresschildkröte aus der Sicht eines Tauchers

Bild 11.57: Meeresschildkröte aus der Sicht eines Tauchers

Taucher kennen das Phänomen: Befindest du dich unter Wasser, verhält sich die Wasseroberfläche unter bestimmten Bedingungen wie ein Spiegel. In diesem Kapitel findest du eine Erklärung und Anwendungen zu diesem Phänomen.

11.7.1 Totalreflexion

Kommt ein Lichtstrahl aus einem optisch dichteren Material an eine Grenzfläche zu einem optisch dünneren Material, findet im Allgemeinen eine Lichtbrechung vom Lot statt (Umkehrbarkeit von Lichtstrahlen). Bei großen Einfallswinkeln kommt es zum Phänomen der Totalreflexion (engl. total internal reflection), bei der der Lichtstrahl das optisch dichtere Material nicht verlässt und vollständig reflektiert wird (Bild 11.58).

Totalfreflexion beim Übergang Glas-Luft

Bild 11.58: Totalfreflexion beim Übergang Glas-Luft

11.7.2 Grenzwinkel der Totalreflexion

In Bild 11.59 siehst du, wann es zur Totalreflexion kommt.

Lichtbrechung und Totalreflexion

Bild 11.59: Lichtbrechung und Totalreflexion

Bei kleinen Einfallswinkeln wird der Strahl gebrochen (Bild 11.59, 1 und 2). Da eine Brechung vom Lot stattfindet, muss der Brechungswinkel immer größer als der Einfallswinkel sein. Wird der Einfallswinkel vergrößert, erreicht der Brechungswinkel schließlich \(90^\circ\) (Bild 11.59, 3). Wird der Einfallswinkel größer als dieser Grenzwinkel der Totalreflexion (engl. critical angle), kann das Snelliusche Brechungsgesetz nicht mehr erfüllt werden und es kommt zur Totalreflexion (Bild 11.59, 4).

Sind die Brechungsindizes beiden Medien bekannt, lässt sich der Grenzwinkel mithilfe des Snelliuschen Brechungsgesetzes berechnen:

\[ n_1\cdot\sin(\theta_1) = n_2\cdot\sin(\theta_2) \]

Hat der Einfallswinkel \(\theta_1\) den kritischen Winkel \(\theta_c\) erreicht, ist der Brechungswinkel gerade ein rechter Winkel (\(\theta_2 = 90^\circ\))

\[ \begin{aligned} n_1\sin(\theta_c) = {} & n_2\sin(90^\circ) &&\Bigr\rvert\; \sin(90^\circ)=1 \\ n_1\sin(\theta_c) = {} & n_2 &&\Bigr\rvert\cdot \frac{1}{n_1} \\ \sin(\theta_c) = {} & \frac{n_2}{n_1} &&\Bigr\rvert\; \arcsin(\ldots) \\ \end{aligned} \]

Und schließlich:

\[\begin{equation} \theta_c = \arcsin\left(\frac{n_2}{n_1}\right) \tag{11.3} \end{equation}\]

Der Grenzwinkel hängt also nur von dem Verhältnis der Brechungsindizes auf beiden Seiten der Grenzschicht ab. Vielleicht fragst du dich jetzt, woher der Lichtstrahl „weiß“, dass auf der anderen Seite der Grenzfläche der Brechungsindex \(n_2\) ist und er im Medium bleiben muss, obwohl er noch nie auf der anderen Seite war? Das Verhalten lässt sich nur erklären, wenn Licht als Wellenphänomen betrachtet wird. Im Abschnitt Totalreflexion für Wellen kannst du nachlesen, dass Licht sogar bei Totalreflexion ein Stück weit auf der anderen Seite der Grenzfläche zu finden ist.

11.7.3 Reflexionsprismen

In hochwertigen optischen Instrumenten wird die Totalreflexion in optischen Prismen verwendet, um Lichtstrahlen umzulenken. Als Beispiel findest du in Bild 11.60 das Porroprisma.

Kombination aus zwei totalreflektierenden Prismen

Bild 11.60: Kombination aus zwei totalreflektierenden Prismen

Diese Kombination aus zwei totalreflektierenden Prismen wird häufig in Ferngläsern (Bild 11.61) verwendet, um das Bild aufzurichten.

Fernglas mit Porroprisma

Bild 11.61: Fernglas mit Porroprisma

Neben dem hier gezeigten Beispiel gibt es noch viele weitere Bauformen für Reflexionsprismen, wie zum Beispiel das Dove-Prisma, das Abbe-König-Prisma oder das Amici-Prisma.

Obwohl Spiegel leichter und billiger herzustellen sind, haben Prismen einen besseren Reflexionsgrad (es geht weniger Licht verloren) und sind weniger empfindlich gegenüber Temperaturschwankungen.

11.7.4 Lichtleiter

Lichtleiter sind Bündel aus dünnen Fasern aus Glas, die durch wiederholte Totalreflexion Signale oder Bilder übertragen können. In Bild 11.62 kannst du die Funktionsweise sehen.

Laserlicht verbleit durch Totalreflexion im Glaskörper

Bild 11.62: Laserlicht verbleit durch Totalreflexion im Glaskörper

In Bild 11.63 siehst du das Innere einer Uhr mit einem Lichtleiter übertragen. Wenn du genau hinsiehst, kannst du die rund 6000 Fasern des Lichtleiters als Bildpunkte erkennen. Das Facettenauge von Insekten ist ähnlich aufgebaut.

Das Innere einer Uhr

Bild 11.63: Das Innere einer Uhr

In der Medizin werden Lichtleiter im Endoskop verwendet. Mit diesem Instrument können innere Bereiche des Menschen wie Magen (Gastroskopie) oder Darm (Koloskopie) ohne Operation untersucht werden. Heute wird das Endoskop auch für Operationen (Arthroskopie) verwendet, um Haut und Weichteile möglichst wenig zu verletzen.

Spitze eines Endoskops

Bild 11.64: Spitze eines Endoskops

In Bild 11.64 siehst du die Spitze eines Endoskops. Neben den Fasern für die Kamera kannst du Fasern für die Beleuchtung und Steckplätze für Werkzeuge erkennen.

11.7.5 Luftspiegelung

In Bild 11.65 siehst du eine Luftspiegelung (engl. mirage). Die Luft über dem heißen Boden verhält sich wie ein Spiegel.

Beispiel einer Luftspiegelung

Bild 11.65: Beispiel einer Luftspiegelung

In Bild 11.66 siehst du die Erklärung zu diesem Phänomen: Der Brechungsindex \(n\) hängt von der Temperatur der Luft ab – je heißer, desto kleiner. An heißen Tagen besteht die Luft über dem Boden aus Schichten mit nach oben abnehmender Temperatur. Ein Teil der Lichtstrahlen (b) wird kontinuierlich gebrochen – sprich gebogen. Wird der Grenzwinkel überschritten, kommt es zur Totalreflexion und wir sehen das Spiegelbild des Kamels in der gedachten geradlinigen Verlängerung des Lichtstrahls (c).

Kontinuierliche Lichtbrechung bei einer Luftspiegelung

Bild 11.66: Kontinuierliche Lichtbrechung bei einer Luftspiegelung