11.6 Licht in unterschiedlichen Medien

Ein gerader Strohhalm erscheint geknickt, sobald er in Wasser eingetaucht wird (Bild 11.48).

Lichtweg mit Knick

Bild 11.48: Lichtweg mit Knick

Bisher haben wir gesehen, dass sich Lichtstrahlen immer geradlinig ausbreiten. In diesem Kapitel erfährst du, wie und warum Lichtstrahlen von ihrem geraden Weg abweichen.

11.6.1 Lichtbrechung

Trifft ein Lichtstrahl schräg auf eine Wasseroberfläche, wird der Lichtstrahl aus seiner ursprünglichen Richtung abgelenkt – der Lichtstrahl wird gebrochen (Bild 11.49). Dieses Phänomen wird Lichtbrechung (engl. light refraction) genannt.

Lichtbrechung am Übergang Luft-Glas

Bild 11.49: Lichtbrechung am Übergang Luft-Glas

Dabei wird der Lichtstrahl immer so gebrochen, dass der Brechungswinkel (engl. angle of refraction; Winkel zwischen dem gebrochenen Lichtstrahl und dem Lot) immer kleiner als der Einfallswinkel (Winkel zwischen dem einfallenden Lichtstrahl und dem Lot)) ist. Trifft der Lichtstrahl senkrecht auf die Oberfläche, kommt es zu keiner Ablenkung.

Wie stark ein Lichtstrahl gebrochen wird, hängt von dem jeweiligen (durchsichtigen) Material ab. Nimmst du zum Beispiel Wasser statt Glas, ist der Brechungswinkel (bei gleichem Einfallswinkel) größer – er weicht weniger stark von seiner ursprünglichen Richtung ab.

Bei genauer Betrachtung siehst du auch einen reflektierten Strahl. Tatsächlich teilt sich die Lichtenergie beim Auftreffen an der Grenzschicht der beiden Medien in einen reflektierten und einen gebrochenen Anteil auf.

Links:

11.6.2 Fermatsches Prinzip

Welche Eigenschaft eines (lichtdurchlässigen) Materials bestimmt eigentlich, wie stark ein Lichtstrahl gebrochen wird? Der Grund ist, dass sich Licht in unterschiedlichen Materialien unterschiedlich schnell ausbreitet. Während die Geschwindigkeit von Licht an Luft fast der Vakuum-Lichtgeschwindigkeit von \(c_0 = 3\cdot 10^{8}\,\mathrm{m/s}\) entspricht, ist sie in Wasser und Glas kleiner.

Wie erreicht der Rettungsschwimmer den Ertrinkenden am schnellsten?

Bild 11.50: Wie erreicht der Rettungsschwimmer den Ertrinkenden am schnellsten?

Sie dir das Bild 11.50 an. Du bist ein Rettungsschwimmer und befindest dich am Strand (Punkt \(A\)). Plötzlich entdeckst du im Wasser einen Ertrinkenden (Punkt \(B\)). Welchen Weg nimmst du, um ihn am schnellsten zu retten?

Normalerweise ist die Luftlinie der kürzeste Weg. Allerdings kannst du am Strand wesentlich schneller laufen als im Wasser. Daher wird es klüger sein, etwas länger am Strand zu laufen und dann erst abzubiegen. Der Weg wird dadurch zwar länger, aber zeitlich kürzer! In Bild 11.51 siehst du den zeitlich kürzesten Weg für den konkreten Fall, dass der Rettungsschwimmer viermal so schnell am Strand läuft wie im Wasser.

Laufzeit beim Rettungsschwimmer-Problem

Bild 11.51: Laufzeit beim Rettungsschwimmer-Problem

Licht verhält sich nach demselben Prinzip: Ein Lichtstrahl wird stets so gebrochen, dass er die zwei Punkte in kürzester Zeit durchläuft. Dieses Verhalten von Licht wird Fermatsches Prinzip (engl. Fermat’s principle) – nach Pierre de Fermat – genannt.

Vielleicht fragst du dich, woher das Licht im Voraus „weiß“, welches der kürzeste Weg ist? Siehst du dir die Laufzeitkurve in 11.51 (unten) genau an, stellst du fest, dass sich die Laufzeit um das Minimum herum nur ganz wenig ändert. Das Licht nimmt sozusagen alle Lichtwege gleichzeitig (Wellenphänomen), aber um das Minimum herum findet konstruktive Interferenz statt, alle anderen Wege löschen sich durch destruktive Interferenz aus.

11.6.3 Brechungsindex

Wie schnell sich Licht in einem Medium ausbreitet, wird oft nicht als Geschwindigkeitswert angeben. Wegen der großen Zahlen wird stattdessen das Verhältnis der Vakuum-Lichtgeschwindigkeit \(c_{0}\) zur Ausbreitungsgeschwindigkeit \(c_{\mathrm {M}}\) des Lichts im Medium (Material) angegeben:

\[\begin{equation} n={\frac {c_{0}}{c_{\mathrm {M} }}} \tag{11.1} \end{equation}\]

Diese materialabhängige dimensionslose Größe (Zahl) \(n\) wird Brechungsindex oder Brechzahl (engl. refractive index) des jeweiligen Materials genannt. Hat ein Medium einen Brechungsindex von 2 ist die Lichtgeschwindigkeit gerade halb so groß wie in Vakuum. Zur Orientierung findest du in der Tabelle die Brechzahlen einiger optischer Medien:

Material Brechungsindex \(n\)
Vakuum \(1\)
Luft \(1{,}000292\)
Eis \(1{,}31\)
Wasser \(1{,}33\)
Augenlinse (Mensch) \(1{,}35-1{,}42\)
Glas \(1{,}45-1{,}93\)
Fensterglas ca. \(1{,}5\)
Diamant \(2{,}42\)

Für den Brechungsindex wird oft auch die Bezeichnung optische Dichte verwendet. Je größer die optische Dichte, desto langsamer breitet sich Licht in diesem Medium aus. Das ist eine recht anschauliche Vorstellung. Der Begriff der Dichte ist prinzipiell unabhängig von dem der optischen Dichte eines Materials. Vielfach haben aber Medien mit einer größeren Dichte auch eine größere optische Dichte.

11.6.4 Snelliussches Brechungsgesetz

Das Snelliussches Brechungsgesetz (engl. Snell’s law) – benannt nach Willebrord van Roijen Snell – beschreibt den mathematischen Zusammenhang zwischen Einfallswinkel und Brechungswinkel (Bild 11.52).

Diagramm zum Snelliussches Brechungsgesetz

Bild 11.52: Diagramm zum Snelliussches Brechungsgesetz

Es lautet:

\[ \frac{\sin(\Theta_1)}{\sin(\Theta_2)} = \frac{c_1}{c_2} = \frac{n_2}{n_1} \]

Eine gleichwertige Form ist:

\[\begin{equation} n_1 \cdot \sin(\Theta_1) = n_2 \cdot \sin(\Theta_2) \tag{11.2} \end{equation}\]

In der Gleichungen bedeuteten:

  • \(\Theta_1\), den Einfallswinkel im Medium 1
  • \(\Theta_2\), den Brechungswinkel im Medium 2
  • \(c_1\), die Lichtgeschwindigkeit im Medium 1
  • \(c_2\), die Lichtgeschwindigkeit im Medium 2
  • \(n_1\), den Brechungsindex von Medium 1
  • \(n_2\), den Brechungsindex von Medium 2

11.6.5 Herleitung des Snelliusschen Brechungsgesetzes

Für die Herleitung des Snelliusschen Brechungsgesetzes wenden wir das Fermatsche Prinzip an, nachdem das Licht den Weg mit der kürzesten Lichtlaufzeit nimmt – es handelt sich also um eine Extremwertaufgabe.

Diagramm zur Herleitung des Snelliusschen Brechungsgesetzes

Bild 11.53: Diagramm zur Herleitung des Snelliusschen Brechungsgesetzes

Sie dir das Bild 11.53 an. Der Lichtweg beginnt im Punkt \(A=(0,a+b)\), führt über den Punkt \(P=(x,b)\) und endet im Punkt \(B=(d,0)\). Im Medium oben breitet sich Licht mit der Geschwindigkeit \(c_1\) aus, im unteren Medium mit der Geschwindigkeit \(c_2\). Mithilfe der Formel für den Weg bei einer gleichförmigen Bewegung

\[ s=v\cdot t \qquad\Leftrightarrow\qquad t=\frac{s}{v} \]

und dem Satz des Pythagoras, kannst du die Zeit für den gesamten Weg in Abhängigkeit von x ausdrücken:

\[ t(x)=t_{1}+t_{2}={\frac {l_{1}}{c_{1}}}+{\frac {l_{2}}{c_{2}}}={\frac {\sqrt {x^{2}+a^{2}}}{c_{1}}}+{\frac {\sqrt {(d-x)^{2}+b^{2}}}{c_{2}}} \]

Durch Ableiten dieser Funktion nach der Zeit erhältst du:

\[ {\frac {dt}{dx}}={\frac {1}{c_{1}}}{\frac {1}{2}}{\frac {1}{\sqrt {x^{2}+a^{2}}}}2x+{\frac {1}{c_{2}}}{\frac {1}{2}}{\frac {1}{\sqrt {(d-x)^{2}+b^{2}}}}2(d-x)(-1) \]

Setzt du diese Funktion gleich null, erhältst du:

\[ \begin{aligned} 0 = {} & {\frac {1}{c_{1}}}{\frac {x}{\sqrt {x^{2}+a^{2}}}}-{\frac {1}{c_{2}}}{\frac {d-x}{\sqrt {(d-x)^{2}+b^{2}}}}\\ 0 = {} & {\frac {1}{c_{1}}}{\frac {x}{l_{1}}}-{\frac {1}{c_{2}}}{\frac {d-x}{l_{2}}}\\ \end{aligned} \]

Für die Winkel \(\alpha\) und \(\beta\) gilt nach der Definition von Sinus und Cosinus:

\[ \sin(\alpha) ={\frac {x}{l_{1}}} \qquad\mathrm{und}\qquad \sin(\beta) ={\frac {d-x}{l_{2}}} \]

Durch Einsetzen in die Gleichung erhältst du:

\[ \begin{aligned} 0 = {} & {\frac {1}{c_{1}}}\sin {\alpha }-{\frac {1}{c_{2}}}\sin {\beta } \\ \end{aligned} \]

und schließlich das Brechungsgesetz

\[ {\frac {\sin {\alpha }}{\sin {\beta }}} = {\frac {c_{1}}{c_{2}}} \]

Mit der Definition des Brechungsindex erhältst du

\[ {\frac {\sin {\alpha }}{\sin {\beta }}} = {\frac {c_{1}}{c_{2}}} = \frac{\frac{c_0}{n_1}}{\frac{c_0}{n_2}} = {\frac {n_{2}}{n_{1}}} \]

11.6.6 Lichtbrechung an einer Glasplatte

Tritt ein Lichtstrahl durch eine Glasplatte, kommt es zunächst an der Grenzschicht Luft-Glas zu einer Brechung zum Lot. Erreicht der Lichtstrahl die Grenzschicht Glas-Luft auf der anderen Seite der Platte, kommt es zu einer Brechung vom Lot. Da sowohl bei der ersten als auch bei der zweiten Brechung dieselben Brechungsindizes (im zweiten Fall als Kehrwert) vorkommen, ist die Gesamtablenkung null. Der Lichtstrahl wird lediglich parallel um den Abstand \(s\) verschoben (Bild 11.54).

Strahlengang in einer Glasplatte

Bild 11.54: Strahlengang in einer Glasplatte

Mit einer ebenen Glasplatte kann ein Lichtstrahl also seitlich verschoben werden, ohne seine Richtung zu ändern. Die Verschiebung \(s\) ist abhängig vom Einfallswinkel und Brechungsindex der Platte. Ist der Einfallswinkel null, kommt es zu keiner Verschiebung und der Strahl geht gerade durch die Platte. Je größer der Einfallswinkel, desto mehr nähert sich die Verschiebung der Plattendicke \(d\) - der maximal möglichen Verschiebung.

11.6.7 Lichtbrechung an einem Prisma

Wie bei der Lichtbrechung an einer Glasplatte kommt es bei einem Prisma zuerst zu einer Brechung zum Lot und auf der anderen Seite vom Lot (Bild 11.55).

Strahlengang in einem Prisma

Bild 11.55: Strahlengang in einem Prisma

Da die beiden Seiten aber nicht parallel sind, kommt es zu einer Gesamtablenkung \(\varphi\).

11.6.8 Mehrfache Lichtbrechung

Besteht ein Körper aus mehreren Schichten mit unterschiedlichen Brechungsindizes, wird ein Lichtstrahl wiederholt an jeder Grenzschicht gebrochen (Bild 11.56, a). Im Extremfall besteht ein Material aus einem kontinuierlich zunehmenden Brechungsindex. Jetzt findet eine kontinuierliche Brechung statt – der Lichtstrahl bildet einen gekrümmten Weg im Material (Bild 11.56, b).

Mehrfache und kontinuierliche Lichtbrechung

Bild 11.56: Mehrfache und kontinuierliche Lichtbrechung