15.8 Wasserturbinen
Die Wasserkraft (Strömungsdruck oder Gewichtskraft) des Wassers als Energiequelle zu nutzen ist schon eine sehr alte Idee (Bild 15.66). Vermutlich wurde sie von Menschen schon vor 5000 Jahren genutzt!
Früher wurde Wasserkraft hauptsächlich für den Antrieb von Mühlen verwendet. Heute werden vor allem Wasserturbinen in Speicher- und Flusskraftwerken verwendet, um die Energie des Wassers (kinetische Energie, potenzielle Energie) in elektrischer Energie umzuwandeln. Wasserturbinen erreichen einen Wirkungsgrad von bis zu \(95\,\%\).
15.8.1 Turbinentypen
Grundsätzlich besitzt jede Wasserturbine Schaufeln, auf die Wasser geleitet wird. Dadurch wird die Turbine in Drehung versetzt. Die Drehbewegung der Turbine wird dann mithilfe eines elektrischen Generators in Wechselstrom umgewandelt.
Je nach Strömungsgeschwindigkeit und Fallhöhe des Wassers haben sich unterschiedliche Arten von Wasserturbinen als vorteilhaft herausgestellt (Bild 15.67). Die heute in Kraftwerken verwendeten Wasserturbinen sind:
15.8.2 Pelton-Turbine (Freistrahl-Turbine)
Die Pelton-Turbine wird bei großem Wasserdruck (Fallhöhen ab \(100\;\mathrm{m}\)) und geringem Durchfluss verwendet. Die Drehgeschwindigkeit liegt bei 400 bis 1000 Umdrehungen pro Minute.
Sie ist im Wesentlichen eine moderne Version des Wasserrades. Dabei strömt das Wasser in einem Strahl mit sehr hoher Geschwindigkeit waagrecht auf die Schaufeln des Laufrades (Bild 15.68). Die Wassermenge kann mit einer Nadel im Düsenkopf gesteuert werden (grün). Im Idealfall wird die kinetische Energie des Wasserstrahls komplett an das Laufrad übertragen und tropft danach nur mehr herunter.
In Bild 15.69 siehst du die charakteristische Form der Schaufel des Laufrades einer Pelton-Turbine. In der Mitte jeder Schaufel befindet sich eine Kante, die den Wasserstrahl teilt und in zwei Becher umleitet. Dadurch wird der Wasserstrahl um 180° ohne zu spritzen umgelenkt. Die Becherform hat auch die Aufgabe, die Zeit für die Impulsübertragung zu verlängern, um so die Kräfte und damit den Verschleiß der Turbinenschaufel so klein wie möglich zu halten.
Vielleicht ist dir auch die W-förmige Aussparung am Ende jeder Turbinenschaufel schon aufgefallen. Dadurch trifft der Wasserstrahl noch möglichst lange die vorherige Schaufel, und erst wenn die Becher im rechten Winkel zum Wasserstrahl stehen, übernimmt die nächste Schaufel.
Wird das Laufrad waagrecht montiert, können bis zu 6 symmetrisch angeordnete Düsen verwendet werden.
15.8.3 Herleitung der Optimalbedingung für den Betrieb der Pelton-Turbine
Von der ruhenden Schaufel wird der Strahl nur umgelenkt, er behält aber seine Bewegungsenergie und verrichtet keine Arbeit. Erst am rotierenden Laufrad wird Arbeit verrichtet. Wie groß muss die Geschwindigkeit des Laufrades im Verhältnis zum Wasserstrahl aber sein, damit die gesamte kinetische Energie des Wasserstrahls an das Laufrad übertragen wird und das Wasser nach dem Kontakt danach nur mehr heruntertropft?
Im Bild 15.70 sind alle Geschwindigkeiten das Wassers betreffend blau und alle Geschwindigkeit die Schaufel (das Laufrad) betreffend rot eingezeichnet. Alle Größen mit einem Strich bezeichnen Geschwindigkeiten nach dem Auftreffen auf der Schaufel. Wir betrachten das Auftreffen des Wasserstrahls aus zwei unterschiedlichen Bezugssystemen:
Das Ruhesystem der Düse: In diesem Bezugssystem hat der austretende Wasserstrahl die Geschwindigkeit \(v_W\) und die Schaufel (Laufrad) die Tangentialgeschwindigkeit \(v_S\) und es gilt \(v_S < v_W\).
Das Ruhesystem der Schaufel: In diesem Bezugssystem hat der austretende Wasserstrahl die Geschwindigkeit \(u_W\) und die Geschwindigkeit der Schaufel (Laufrad) – aufgrund der Wahl des Bezugssystems – immer null.
Für die Wassergeschwindigkeit \(u_W\) im Ruhesystem der Schaufel kannst du dir aus den Größen des Ruhesystems Düse so ausrechnen:
\[ u_W = v_W - v_S \]
Wie wir schon festgestellt haben, wird der Strahl im Ruhesystem der Schaufel nur umgelenkt und behält seine Bewegungsenergie. Daher muss für die Geschwindigkeit des Wasserstrahls nach dem Auftreffen (bis auf das Vorzeichen) gleich groß sein:
\[ \begin{aligned} u'_W = {} & -u_W \\ = {} & -(v_W - v_S) \\ = {} & v_S - v_W \\ \end{aligned} \]
Die Geschwindigkeit des Wasserstrahls nach dem Stoß im Ruhesystem der Düse berechnest du mit:
\[ \begin{aligned} v'_W = {} & u'_W + v_S \\ = {} & (v_S - v_W) + v_S \\ = {} & v_S - v_W + v_S \\ = {} & 2\cdot v_S - v_W \\ \end{aligned} \]
Im Idealfall ist diese Wassergeschwindigkeit nach dem Auftreffen null, also:
\[ 2\cdot v_S - v_W = 0 \]
Für die Tangentialgeschwindigkeit der Schaufel erhältst du:
\[\begin{equation} v_S = \frac{v_W}{2} \tag{15.10} \end{equation}\] |
Die Pelton-Turbine arbeitet also optimal, wenn die Geschwindigkeit der Schaufel halb so groß wie die Geschwindigkeit des Wasserstrahls ist.
15.8.4 Francis-Turbine
Bei mittlerem Wasserdruck (Fallhöhen ab etwas \(20\;\mathrm{m}\)) und mittlerem Durchfluss wird meist die Francis-Turbine verwendet. Die Drehgeschwindigkeit liegt bei 100 bis 500 U/min.
Vor dem Laufrad befindet sich eine Einlaufspirale mit verstellbaren Flügeln (Bild 15.71). Die Flügelstellung regelt die Wassermenge, die auf die Turbine trifft und die Spiralform sorgt dafür, dass das Wasser in Drehung versetzt wird (Drall) und mit gleicher Geschwindigkeit von allen Seiten auf das Laufrad trifft. Das Laufrad besteht aus einer Reihe von fix montierten Schaufeln (Bild 15.72). Im Idealfall fließt das Wasser ohne Drall und mit geringem Druck unterhalb der Turbine ab.
Der große Vorteil der Francis-Turbine ist, dass sie (bei umgekehrter Drehrichtung) auch als Pumpe verwendet werden kann. Somit ist sie bei Wasser-Speicherkraftwerken sehr beliebt.
15.8.5 Kaplan-Turbine
Die Kaplan-Turbine wird bei geringem Wasserdruck (Fallhöhen ab \(10\;\mathrm{m}\)) und großem Durchfluss verwendet. Die Drehgeschwindigkeit liegt bei 50 bis 150 Umdrehungen pro Minute.
Ähnlich der Francis-Turbine hat auch die Kaplan-Turbine eine Einlaufspirale mit verstellbaren Flügeln (Bild 15.73). Die Flügelstellung regelt die Wassermenge, die auf die Turbine trifft und die Spiralform sorgt dafür, dass das Wasser in Drehung versetzt wird (Drall) und mit gleicher Geschwindigkeit von allen Seiten auf das Laufrad trifft.
Bei der Kaplan-Turbine hat das Laufrad die Form eines Propellers, wobei die Flügel verdrehbar sind und an die Durchfluss-Wassermenge angepasst werden können (Bild 15.74). Jeder Flügel hat ein Profil ähnlich einer Tragfläche eines Flugzeugs. Im Idealfall werden die Flügel der Kaplan-Turbine tangential angeströmt und das Wasser fließt ohne Drall und mit geringem Druck unterhalb der Turbine ab.
15.8.6 Durchströmturbine
Von alten Mühlen kennst du vermutlich das gewöhnliche Wasserrad (Bild 15.66). Die Durchströmturbine (engl. cross-flow turbine) ist die verbesserte Version des Wasserrades, wie es heute noch in Gebrauch ist. Sie wurde etwa zeitgleich in den 1930er-Jahren von Anthony Michell, Donát Bánki und Fritz Ossberger entwickelt und benötigt im Gegensatz zur Pelton-Turbine nur wenig Wasserdruck.
Bei der Durchströmturbine trifft der Wasserstrahl zweimal auf das walzenförmige Laufrad (einmal von außen und einmal von innen), wodurch sich der Wirkungsgrad gegenüber einem normalen Wasserrad verbessert (Bild 15.75). Durch die einfache Bauweise und weil sie auch kleinste Wassermengen einfach nutzbar macht, wird diese Turbine gerne in kleinen Kraftwerken verwendet.