15.7 Bernoulli-Gleichung und ihre Anwendungen

Auch in diesem Kapitel bleiben wir noch bei reibungsfreien und inkompressiblen Fluiden.

Daniel Bernoulli hat vor über 200 Jahren eine Gleichung aufgestellt, die das Wissen aus Hydrostatik und Hydrodynamik für ideale Fluide zusammenfasst. Ihm zu Ehren wird sie Bernoulli-Gleichung genannt.

Einbau der Wasserturbine an der Grand-Coulee-Talsperre (USA)

Bild 15.60: Einbau der Wasserturbine an der Grand-Coulee-Talsperre (USA)

Den praktischen Nutzen hat die Bernoulli-Gleichung in der Abschätzung von Ergebnissen, wie sie zum Beispiel für die Dimensionierung von Wasserkraftwerken (Bild 15.60) benötigt wird. Bei vielen Detail-Betrachtungen müssen Reibungseffekte berücksichtigt werden.

15.7.1 Bernoulli-Gleichung

Wird ein Flüssigkeitsvolumen verschoben, kann sich Druck, Geschwindigkeit und Höhe ändern. In einer reibungsfreien, stationären Strömung erfolgt die Bewegung dabei aber immer so, dass gilt (Bernoulli-Gleichung):

An jedem Punkt einer stationär strömenden idealen Flüssigkeit ist die folgende Summe immer gleich groß:

\[\begin{equation} p + \varrho\cdot g\cdot h + \varrho\cdot\frac{v^2}{2} \tag{15.9} \end{equation}\]

In dieser Summe findest du Ausdrücke, die du schon in früheren Kapiteln angetroffen hast, wie (von links nach rechts) den stationären Druck, den Gewichtsdruck oder den Staudruck.

Diagramm zur Herleitung der Bernoulli Gleichung

Bild 15.61: Diagramm zur Herleitung der Bernoulli Gleichung

Die Bernoulli-Gleichung wird als Bilanzgleichung verwendet. Betrachtest du zwei Stellen in einem Flüssigkeitssystem (Bild 15.61), gilt:

\[ p_1 + \varrho\cdot g\cdot h_1 + \varrho\cdot\frac{v_1^2}{2} = p_2 + \varrho\cdot g\cdot h_2 + \varrho\cdot\frac{v_2^2}{2} \]

Die Höhe null (Bezugshöhe) kann wie bei der potenziellen Energie beliebig gewählt werden, muss aber für das gesamte betrachtete Flüssigkeitssystem beibehalten werden.

15.7.2 Herleitung der Bernoulli-Gleichung

Um Flüssigkeit von links in das Rohr in Bild 15.61 zu drücken, benötigst du die Kraft \(F_1=p_1\cdot A_1\). Schiebst du sie um den Weg \(s_1\) in das Rohr, verrichtest du dabei die Arbeit

\[ \begin{aligned} W_1 = {} & F_1\cdot s_1 \\ = {} & (p_1\cdot A_1)\cdot s_1 \\ \end{aligned} \]

an der Flüssigkeit. Zur gleichen Zeit muss sich die Flüssigkeit auf der rechten Seite weiter bewegen, um für die Flüssigkeit von links Platz zu machen. Die Arbeit der Flüssigkeit ist dabei:

\[ \begin{aligned} W_2 = {} & - F_2\cdot s_2 \\ = {} & - (p_2\cdot A_2)\cdot s_2 \\ \end{aligned} \]

Aufgrund der Tatsache, dass auf dieser Seite nicht du, sondern die Flüssigkeit (gegen was auch immer sich am Ende des Rohres befindet) Arbeit verrichtet, ist das Vorzeichen dieser Arbeit negativ.

Für die am System verrichtete Gesamtarbeit gilt dann:

\[ \begin{aligned} \Delta W = {} & p_1\cdot A_1\cdot s_1 - p_2\cdot A_2\cdot s_2 \\ = {} & p_1\cdot V_1 - p_2\cdot V_2 \\ \end{aligned} \]

Nach der Kontinuitätsgleichung sind die beiden Volumina \(V_1\) und \(V_2\) aber gleich groß.

\[ \begin{aligned} \Delta W = {} & p_1\cdot V_1 - p_2\cdot V_2 &&\Bigr\rvert\; V_1 = V_2 = V \\ = {} & p_1\cdot V - p_2\cdot V &&\Bigr\rvert\; V=\frac{m}{\varrho} \\ = {} & p_1\cdot \frac{m}{\varrho} - p_2\cdot \frac{m}{\varrho} \\ = {} & (p_1 - p_2)\cdot\frac{m}{\varrho} \\ \end{aligned} \]

Die von außen am System verrichtet Arbeit verändert die Gesamtenergie des Systems.

\[ \begin{aligned} \Delta W = {} & \Delta E_{ges} \\ \Delta W = {} & \Delta E_\text{pot} + \Delta E_\text{kin} \\ \end{aligned} \]

Für die Änderung der potenziellen Energie gilt:

\[ \begin{aligned} \Delta E_\text{pot} = {} & m\cdot g\cdot h_2 - m\cdot g\cdot h_1 \\ = {} & m\cdot g\cdot (h_2 - h_1) \\ \end{aligned} \]

Für die Änderung der kinetischen Energie gilt:

\[ \begin{aligned} \Delta E_\text{kin} = {} & \frac{m}{2}\cdot v_2^2 - \frac{m}{2}\cdot v_1^2 \\ = {} & \frac{m}{2}\cdot (v_2^2 - v_1^2) \\ \end{aligned} \]

Einsetzen liefert:

\[ \begin{aligned} \Delta W = {} & \Delta E_\text{pot} + \Delta E_\text{kin} \\ \frac{m}{\varrho}\cdot(p_1 - p_2) = {} & m\cdot g\cdot (h_2-h_1) + \frac{m}{2}\cdot (v_2^2 - v_1^2) \qquad\Bigr\rvert\cdot \frac{\varrho}{m}\\ p_1 - p_2 = {} & \varrho\cdot g\cdot (h_2-h_1) + \frac{\varrho}{2}\cdot (v_2^2 - v_1^2)\\ \end{aligned} \]

Ausmultiplizieren und Umstellen der Summanden liefert die Bernoulli-Gleichung:

\[ p_1 + \varrho\cdot g\cdot h_1 + \varrho\cdot\frac{v_1^2}{2} = p_2 + \varrho\cdot g\cdot h_2 + \varrho\cdot\frac{v_2^2}{2} \]

15.7.3 Anwendung waagrechte Strömung

Waagrechte Strömung

Bild 15.62: Waagrechte Strömung

Für eine waagrechte ideale Strömung ändert sich die Höhe nicht (Bild 15.62). Somit können wir die Höhe gleich null setzen und wir erhalten für diesen Spezialfall aus der Bernoulli-Gleichung die Beziehung:

\[ p + \varrho\cdot\frac{v^2}{2} = \text{const} \]

Sie besagt aber nichts anderes, als dass der Druck \(p\) kleiner wird, wenn die Strömungsgeschwindigkeit \(v\) größer wird. Das ist aber nichts anderes als das hydrostatische Paradoxon.

15.7.4 Anwendung ruhenden Flüssigkeit

Verwenden wir die Bernoulli-Gleichung für zwei Stellen einer ruhenden Flüssigkeit, fallen die geschwindigkeitsabhängigen Terme für den Staudruck weg, und es gilt:

\[ p_1 + \varrho\cdot g\cdot h_1 = p_2 + \varrho\cdot g\cdot h_2 \]

Druck in einem Flüssigkeitstank

Bild 15.63: Druck in einem Flüssigkeitstank

Wählen wir den einen Punkt am Boden des Gefäßes (Bild 15.63), so gilt dort:

  • \(h_1 = 0\),
  • \(p_1 = p\),
  • \(v_1 = 0\)

Wählen wir den anderen Punkt an der Oberfläche, so gilt dort:

  • \(h_2 = h\),
  • \(p_2 = p_0\) (Luftdruck),
  • \(v_2 = 0\)

Einsetzen in die Gleichung liefert:

\[ \begin{aligned} p + \varrho\cdot g\cdot 0 = {} & p_0 + \varrho\cdot g\cdot h \\ p = {} & p_0 + \varrho\cdot g\cdot h \\ \end{aligned} \]

Das Ergebnis ist nichts anderes als die Formel für den hydrostatischen Druck.

15.7.5 Anwendungsbeispiel: Torricellisches Ausflussgesetz

Ausströmen einer Flüssigkeit aus einem Tank

Bild 15.64: Ausströmen einer Flüssigkeit aus einem Tank

Ein Wasserspeicher ist \(h=5\;\mathrm{m}\) hoch mit Wasser gefüllt (Bild 15.64). Berechne, mit welcher Geschwindigkeit \(v\) das Wasser bei einem Loch nahe dem Boden ausströmt.

Wir schreiben die Bernoulli-Gleichung für den höchsten und den tiefsten Punkt der Wassersäule an und setzen beide Terme gleich.

An der Oberfläche des der Wassersäule ist die Wasserhöhe \(h\). Ist der Tank groß genug, sinkt der Wasserspiegel sehr langsam und wir können die Geschwindigkeit null setzen. Damit verschwindet der geschwindigkeitsabhängige Term in der Bernoulli-Gleichung. Es wirkt der äußere Luftdruck \(p_0\). Wir erhalten:

\[ p_0 + \varrho\cdot g\cdot h \]

Für die Stelle der Ausströmöffnung nahe dem Boden des Tanks ist die Höhe \(h=0\). Damit wird der höhenabhängige Teil der Bernoulli-Gleichung null. Auch hier wirkt der äußere Luftdruck \(p_0\). Wir erhalten:

\[ p_0 + \varrho\cdot\frac{v^2}{2} \]

Wie bei der Energieerhaltung setzen wir beide Terme gleich:

\[ \begin{aligned} p_0 + \varrho\cdot\frac{v^2}{2} = {} & p_0 + \varrho\cdot g\cdot h &&\Bigr\rvert-p_0 \\ \varrho\cdot\frac{v^2}{2} = {} & \varrho\cdot g\cdot h &&\Bigr\rvert\cdot\frac{1}{\varrho} \\ \frac{v^2}{2} = {} & g\cdot h &&\Bigr\rvert\cdot 2 \\ v^2 = {} & 2\cdot g\cdot h &&\Bigr\rvert\sqrt{(\ldots)} \\ v = {} & \sqrt{2\cdot g\cdot h} \\ \end{aligned} \]

Diese Formel wird Torricellisches Ausflussgesetz genannt.

Berechnest du die Geschwindigkeit, die ein Körper nach dem Durchfallen einer Höhe \(h\) besitzt, erhältst du dieselbe Formel. Da die Bernoulli-Gleichung eine Art Energieerhaltung für Fluide darstellt, ist das kein Zufall! Das Ausströmen eines Gramms Wasser aus der Öffnung ist energetisch gleichwertig mit dem Entfernen eines Gramms Wasser von der Oberseite und dem Durchfallen der Höhe \(h\). So wie die Geschwindigkeit eines fallenden Objekts unabhängig von seiner Masse ist, so ist auch die Geschwindigkeit der ausströmenden Flüssigkeit unabhängig von ihrer Dichte.

Mit \(g=10\;\mathrm{m}/\mathrm{s}^2\) für die Fallbeschleunigung erhalten wir für die Ausströmgeschwindigkeit

\[ v = \sqrt{2\cdot 10\;\mathrm{m}/\mathrm{s}^2\cdot 5\;\mathrm{m}} = 10\;\mathrm{m}/\mathrm{s} \]

oder \(v=3{,}6\cdot10\;\mathrm{m}/\mathrm{s}=36\;\mathrm{km}/\mathrm{h}\)

Diese Geschwindigkeit gilt nur für den ersten Moment. Sinkt der Wasserspiegel, sinkt auch die Ausströmgeschwindigkeit und der Wert muss neu berechnet werden. Die Abhängigkeit der Ausströmgeschwindigkeit von dem hydrostatischen Druck kannst du bei einem Gefäß mit mehreren übereinander liegenden Öffnungen gut vergleichen (Bild 15.65). Ein solches Gefäß kannst du dir zum Beispiel aus einer Einweg-PET-Flasche und einem Bohrer selbst basteln.

Zunahme der Ausströmgeschwindigkeit mit dem Gewichtsdruck

Bild 15.65: Zunahme der Ausströmgeschwindigkeit mit dem Gewichtsdruck

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