4.6 Druck- und Zugkraft

Im Bild 4.37 siehst du die längste Luftseilbahn Europas. Zwischen Mittel- und Bergstation befindet sich ein 1670 Meter langes, frei hängendes Stahlseil, das die beiden Gondeln trägt.

Aj-Petri-Seilbahn, Krim

Bild 4.37: Aj-Petri-Seilbahn, Krim

In diesem Kapitel geht es um Druck- und Zugkräfte.

4.6.1 Druck

Wenn dir jemand beim Tanzen auf deinen Fuß steigt, hängt deine Verletzung vom Schuhwerk der anderen Person ab. Bei einem Turnschuh ist es viel weniger schlimm als bei einem Stöckelschuh. Die Verformung hängt nämlich nicht nur von der Kraft, sondern auch von der Fläche ab, auf die diese Kraft wirkt: Je kleiner die Fläche, desto größer ist die Verformung.

Die Wirkung einer Kraft auf eine ebene Fläche wird in der Physik durch die Größe Druck (engl. pressure) beschrieben.

Kraft wirkt auf Fläche

Bild 4.38: Kraft wirkt auf Fläche

Druck ist definiert als der Quotient aus Normalkraft und wirkende Fläche.

\[ \text{Druck} = \frac{\text{Kraft}}{\text{Fläche}} \]

Das Formelzeichen für den Druck ist ein kleines \(p\).

\[\begin{equation} p = \frac{F}{A} \tag{4.6} \end{equation}\]

Der Druck ist also umso größer,

  • je größer die wirkende Kraft ist (bei gleicher Fläche).
  • je kleiner die Fläche ist (bei gleicher Kraft).

Vorsicht: Obwohl die Kraft ein Vektor ist, ist der Druck eine ungerichtete Größe (Zahl, Skalar), also kein Vektor! Das liegt daran, dass auch Flächen in der Physik durch einen Vektor (den Flächennormalvektor) beschrieben werden.

4.6.2 Einheit des Drucks

Du bekommst die SI-Einheit des Drucks durch Einsetzen in die Definitionsgleichung des Drucks.

\[ [p] = \frac{[F]}{[A]} = \frac{1\;\mathrm{N}}{1\;\mathrm{m^2}} = 1\;\mathrm{Pa} \]

Zu Ehren des Physikers Blaise Pascal wird die Einheit auch ein Pascal (\(1\;\mathrm{Pa}\)) genannt.

Da ein Quadratmeter eine große Fläche ist und ein Newton eine relativ kleine Kraft, ist \(1\;\mathrm{Pa}\) eine sehr kleine Einheit. In der Praxis wird daher oft die Einheit Bar verwendet, wobei folgende Umrechnung gilt:

\[ 1\;\mathrm{bar} = 100{.}000\;\mathrm{Pa} \]

Der Luftdruck auf Meeresniveau ist ungefähr \(1\;\mathrm{bar}\).

4.6.3 Beispiele für Druckwerte

Um dir eine Vorstellung von der Größe der Druckeinheiten zu geben, findest du hier einige Werte aus der Praxis.

Druck in Pascal Druck in Bar
Hochvakuum \(0{,}001=10^{-3}\;\mathrm{Pa}\) \(0{,}00000001=10^{-8}\;\mathrm{bar}\)
Vakuumpumpe (Schule) \(0{,}1=10^{-1}\;\mathrm{Pa}\) \(0{,}00000001=10^{-6}\;\mathrm{bar}\)
Luftdruck (Normaldruck) \(100{.}000\;\mathrm{Pa}\) \(1\;\mathrm{bar}\)
Wasserdruck in \(10\;\mathrm{m}\) Tiefe \(200{.}000=2\cdot10^5\;\mathrm{Pa}\) \(2\;\mathrm{bar}\)
Reifendruck (PKW) \(350{.}000=3{,}5\cdot10^5\;\mathrm{Pa}\) \(3{,}5\;\mathrm{bar}\)
Trinkwasserleitung \(400{.}000=4{,}0\cdot10^5\;\mathrm{Pa}\) \(4{,}0\;\mathrm{bar}\)
Reifendruck (Rennrad) \(600{.}000=6\cdot10^5\;\mathrm{Pa}\) \(6\;\mathrm{bar}\)
PET-Flasche (Einweg) bis \(800{.}000=8\cdot10^5\;\mathrm{Pa}\) bis \(8\;\mathrm{bar}\)
PET-Flasche (Mehrweg) bis \(2{.}000{.}000=2\cdot10^6\;\mathrm{Pa}\) bis \(20\;\mathrm{bar}\)
Camping-Gaskartusche bis \(20{.}000{.}000 = 2\cdot10^7\;\mathrm{Pa}\) bis \(200\;\mathrm{bar}\)
Pressluftflasche (Tauchen) bis \(30{.}000{.}000=3\cdot10^7\;\mathrm{Pa}\) bis \(300\;\mathrm{bar}\)
Marianengraben (tiefste Stelle) bis \(83{.}000{.}000=8{,}3\cdot10^7\;\mathrm{Pa}\) bis \(830\;\mathrm{bar}\)
Gasdruck im Lauf einer Pistole bis \(28{.}000{.}000=2{,}8\cdot10^8\;\mathrm{Pa}\) bis \(2800\;\mathrm{bar}\)
Erdkern (Mittelpunkt) \(3\cdot10^{10}\;\mathrm{Pa}\) \(300{.}000=3\cdot10^5\;\mathrm{bar}\)
Detonation einer Wasserstoffbombe \(5\cdot10^{14}\;\mathrm{Pa}\) \(5\cdot10^9\;\mathrm{bar}\)
Sonne (Mittelpunkt) \(2\cdot10^{16}\;\mathrm{Pa}\) \(2\cdot10^{11}\;\mathrm{bar}\)
Neutronenstern (Mittelpunkt) \(10^{34}\;\mathrm{Pa}\) \(10^{29}\;\mathrm{bar}\)

In der Tabelle findest du immer den absoluten Druck. Beachte, dass bei Werten zum Reifen- oder Tiefendruck üblicherweise nur der Überdruck im Vergleich zum Umgebungsdruck (Luftdruck) angegeben ist. Die Reifendruckangabe \(2{,}5\;\mathrm{bar}\) bedeutet also, der Reifendruck soll \(2{,}5\;\mathrm{bar}\) über dem Umgebungsdruck von rund \(1\;\mathrm{bar}\) liegen. Der absolute Reifendruck wäre somit \(3{,}5\;\mathrm{bar}\). Messgeräte an Tankstellen zeigen daher immer den relativen Reifendruck an.

Links:

4.6.4 Anwendungen Druck

In einigen Anwendungen soll – bei gleicher Kraft – der Druck möglichst groß sein. Beispiele dafür sind das Messer, die Injektionsnadel oder der Nagel. Dabei wird jedes Mal durch eine extrem kleine Fläche bei gleicher Kraft eine hohe Wirkung (Formänderung) erzielt.

Dagegen soll in anderen Anwendungen genau das Gegenteil erreicht werden – nämlich eine möglichst kleine Formänderung bei gleicher Kraft. Beispiele dafür sind Schneeschuhe, das Nagelbrett des Fakirs bzw. die Raupen von Kettenfahrzeugen. Um den Druck bei gegebener Kraft kleinzuhalten, wird eine möglichst große Fläche verwendet. Der Schaufelradbagger in Bild 4.39 hat eine Masse von unglaublichen 13.500 Tonnen. Der Kettenantrieb des Baggers besitzt aber eine so große Fläche, dass der Bodendruck sogar geringer als der eines Pkws ist.

4.6.5 Zugkraft

Hältst du die Enden eines Bleistifts mit beiden Händen fest und bewegst deine Hände voneinander weg, versuchst du den Bleistift auseinanderzuziehen (zu dehnen). Der Bleistift ist dann „unter Zug“ (engl. in tension) und deine Hände spüren eine nach innen gerichtete Zugkraft (engl. tension, Bild 4.40).

Zugkraft: (a) Kräfte auf deine Hände (b) Kräfte auf den Bleistift

Bild 4.40: Zugkraft: (a) Kräfte auf deine Hände (b) Kräfte auf den Bleistift

4.6.6 Druckkraft

Hältst du die Enden eines Bleistifts mit beiden Händen fest und bewegst deine Hände aufeinander zu, versuchst du den Bleistift zusammenzudrücken (zu stauchen). Der Bleistift ist dann „unter Druck“ (engl. in compression) und deine Hände spüren eine nach innen gerichtete Druckkraft (engl. thrust, Bild 4.41).

Druckkraft: (a) Kräfte auf deine Hände (b) Kräfte auf den Bleistift

Bild 4.41: Druckkraft: (a) Kräfte auf deine Hände (b) Kräfte auf den Bleistift

Während bei einem starren Körper – wie zum Beispiel einer Stange – Zug- und Druckkräften auftreten können, kann bei Seilen nur zu Zugkräften geben.

4.6.7 Mechanische Spannung

Jede Verformung eines festen Körpers erzeugt eine innere elastische mechanische Spannung (engl. stress), ähnlich der Rückstellkraft einer Schraubenfeder, die dazu neigt, den Körper in seine ursprüngliche Form zurückzubringen. Diese makroskopischen Kräfte sind das Ergebnis einer sehr großen Anzahl von intermolekularen Kräften zwischen den Teilchen, aus denen der Körper aufgebaut ist.

Neben Druck- und Zugbelastung gibt es je nach Richtung und Angriffspunkt der Kräfte noch weitere mögliche Spannungen. Folgende mechanische Spannungen werden unterschieden (Bild 4.42):

  • Zugspannung (hervorgerufen durch Zugkräfte)
  • Druckspannung (hervorgerufen durch Druckkräfte)
  • Schub- oder Scherspannung (hervorgerufen durch Scherkräfte)
  • Biegespannung (hervorgerufen durch Biegekräfte)
  • Torsionsspannung (hervorgerufen durch Drehkräfte)
Arten mechanische Beanspruchung

Bild 4.42: Arten mechanische Beanspruchung

Lass dich von dem Bild 4.42 nicht täuschen: Bei einigen Körpern (wie zum Beispiel Stahlseilen oder Betonkonstruktionen) kann es zu extrem großen mechanischen Spannungen kommen, selbst wenn es zu keiner sichtbaren Formänderung kommt!

4.6.8 Mechanische Spannung ohne äußere Kräfte

Nicht immer sind äußere Kräfte die Ursache für mechanische Spannungen. Sie können zum Beispiel auch als Folge von ungleichmäßiger Abkühlung beim Erstarren von Flüssigkeiten wie beim Spritzguss Verfahren entstehen (Bild 4.43).

Restspannung eines Kunststoffs (durch polarisiertes Licht sichtbar gemacht)

Bild 4.43: Restspannung eines Kunststoffs (durch polarisiertes Licht sichtbar gemacht)

Bei Temperglas wird mechanische Spannungen im Material durch Wärmebehandlung gezielt erzeugt, um die Bruchfestigkeit gegenüber mechanischer oder thermischer Beanspruchung zu erhöhen.

4.6.9 Normalspannung

Zug- und Druckkräfte erzeugen bei einem länglichen Körper eine mechanische Spannung normal zur Querschnittsfläche des Körpers. Diese Normalspannung (engl. normal stress) wird als Quotient aus Normalkraft \(F\) und Querschnittsfläche \(A\) des Körpers definiert.

\[\begin{equation} \sigma = \frac{F}{A} \tag{4.7} \end{equation}\]

Das Formelzeichen der Normalspannung ist üblicherweise ein \(\sigma\) (griechischer Kleinbuchstabe Sigma). Je nach Vorzeichen der Normalspannung wird von Zugspannung (positives Vorzeichen) oder Druckspannung (negatives Vorzeichen) gesprochen. Die Druckspannung wird gelegentlich auch als Flächenpressung bezeichnet.

Die maximale Belastung in Längsrichtung ist eine wichtige Materialgröße bei Stangen und Seilen.

Obwohl die Definitionsgleichung für Druck und Normalspannung gleich sind, wird die Normalspannung immer in \(\mathrm{N}/\mathrm{m}^2\) („Newton pro Quadratmeter“) angegeben, niemals in Pascal oder bar. Bei großen Normalspannungen ist oft auch die Einheit \(\mathrm{N}/\mathrm{mm}^2\) („Newton pro Quadratmillimeter“) üblich.

In ruhenden Flüssigkeiten und Gasen ist Druck eine in allen Raumrichtungen gleichermaßen wirkende Normalspannung.

4.6.10 Anwendungen von Druck- und Zugkräften

Im Bild 4.44 siehst du das Netz einer Spinne. Jeder der Fäden steht dabei unter Zugspannung. Das Netz insgesamt ist stabil.

Spinnennetz

Bild 4.44: Spinnennetz

Früher wurden Bauwerke sehr massiv ausgeführt. Heute haben wir das physikalische Wissen und die Materialien, um leichte, aber trotzdem sehr tragfähige Konstruktionen zu bauen. Beispiele sind Zeltdachkonstruktionen wie beim Olympiastadion in München (Bild 4.45) oder Hängebrücken (Bild 4.46).

Beispiel einer Zeltdachkonstruktionen

Bild 4.45: Beispiel einer Zeltdachkonstruktionen

Bei all diesen Beispielen werden Teile oder die gesamte Gewichtskraft eines Bauwerks durch Seile in die Verankerung im umgebenden Boden abgeleitet. Führen die Seile zusätzlich über Masten oder Pylone wird dort zusätzlich Kraft in Form von Druck auf den Boden umgeleitet. Die Summe der Seilkräfte ist dabei häufig ein Vielfaches der Gewichtskraft.

Beispiel einer Hängebrücke

Bild 4.46: Beispiel einer Hängebrücke

4.6.11 Rechenbeispiel zur Seilkraft

Ein Körper mit der Masse \(3\;\mathrm{kg}\) hängt an einer (masselosen) Schnur. Der Körper soll durch Hochziehen der Schnur mit \(0{,}2\;\mathrm{m/s^2}\) konstant beschleunigt werden. Berechne die Seilkraft beim Hochziehen des Körpers.

Kräfte beim Halten (a) und beim Beschleunigungsvorgang (b)

Bild 4.47: Kräfte beim Halten (a) und beim Beschleunigungsvorgang (b)

Solange der Körper unbewegt an der Schnur hängt (Bild 4.47 a), wirkt die Gewichtskraft:

\[ \begin{aligned} F_\text{G} = {} & F_\text{G} = m\cdot g \\ = {} & 3 \cdot (-9{,}81) \\ = {} & -29{,}43\;\mathrm{N} \\ \end{aligned} \]

Da es sich um ein Kräftegleichgewicht handelt (Trägheitssatz), muss die Seilkraft gleich groß, aber entgegengerichtet sein: \(29{,}43\;\mathrm{N}\).

Nach dem dynamischen Grundgesetz ist für die Beschleunigung nach oben eine zusätzliche Kraft von \(F=m\cdot a\) notwendig (Bild 4.47 b) und die Seilkraft erhöht sich beim Heben auf:

\[ \begin{aligned} F_\text{T} = {} & -F_\text{G} + m\cdot a \\ = {} & 29{,}43 + 3 \cdot 0{,}2 \\ = {} & 30{,}03\;\mathrm{N} \\ \end{aligned} \]

Beachte, dass die Summe aller an dem Körper angreifenden Kräfte bei diesem Beispiel nicht null ergeben, weil er beschleunigt wird!

4.6.12 Demonstrationsversuch zu träger und schwerer Masse

Wir hängen ein Gewicht mit einem Faden an die Decke und befestigen darunter einen Faden aus demselben Material (Bild 4.48).

Wo reißt die Schnur?

Bild 4.48: Wo reißt die Schnur?

Du kannst jetzt Folgendes entdecken:

  • Ziehst du langsam am unteren Ende, reißt der Faden über dem Gewicht (a).
  • Ziehst du schnell am unteren Ende, reißt der Faden unter dem Gewicht (b).

Ziehst du langsam, erhöht sich die Spannung der Schnur sowohl oben als auch unten. Dabei ist der obere Faden aber immer mehr gespannt, da zusätzlich zu der Zugkraft deiner Hand noch die Gewichtskraft (schwere Masse) des Körpers daran zieht. Ziehst du noch stärker, wird daher immer der Faden oberhalb des Gewichts als erstes reißen.

Ziehst du rasch, nimmt zunächst die Spannung der Schnur unterhalb des Körpers zu. Die Seilkraft beschleunigt den Körper nach unten, allerdings ist diese Beschleunigung relativ klein aufgrund der großen Trägheit (träge Masse) des Körpers. Die Schnurspannung nimmt daher unterhalb des Gewichts rascher zu als oberhalb und daher reißt die Schnur unterhalb des Körpers zuerst. Dieser Teil der Schnur würde ebenso reißen, wenn die ganze Anordnung waagrecht am Boden liegen würde und du gleich rasch daran ziehen würdest. Beim raschen Ziehen entscheidet nur die Trägheit (träge Masse) über den Ausgang des Experiments.