4.1 Kraft und Wirkung
Die Turnübung in Bild 4.2 heißt human flag. Du wirst mir vermutlich zustimmen, wenn ich behaupte, dass zur Ausführung dieser Übung sehr viel Kraft notwendig ist.
Aber was genau ist Kraft? In diesem Kapitel geht es um die Begriffe Kraft und Wirkung in der Physik.
4.1.1 Auswirkungen von Kräften
Vermutlich hat jeder von uns eine intuitive Vorstellung von Kraft. Mit dem Wort „Kraft“ verbinden die meisten Menschen die Muskelkraft ihres Körpers. In Bild 4.3 siehst du zwei typische Auswirkungen (kurz: Wirkungen), wenn du deine Muskelkraft auf einen Gegenstand ausübst.
In der Mechanik können wir drei Wirkungen von Kräften unterscheiden:
- Bewegungsänderung (zum Beispiel beim Schlag auf einen Ball)
- Formänderung (zum Beispiel beim Zusammendrücken einer Getränkedose)
- Änderung der mechanischen Spannung (zum Beispiel beim Ziehen an einem Seil)
4.1.2 Physikalische Kraft
Nach der Modellvorstellung in der Physik wird jede beobachtbare Wirkung durch eine (physikalische) Kraft (engl. force) verursacht. Kräfte in der Physik dienen also dazu, Wirkungen auf Körper zu beschreiben und vorherzusagen. Kräfte lassen sich nicht direkt beobachten, sondern nur über ihre Wirkungen.
Jede Kraft hat eine Größe und eine Richtung. Sie kann daher mathematisch durch einen Vektor (Pfeil) beschrieben werden. Das Formelsymbol für eine allgemeine Kraft ist \(\vec{F}\). Die Stelle, an der eine Kraft an einem Körper wirkt, wird Angriffspunkt der Kraft (engl. point of application) genannt. Die mathematische Definition von Kraft findest du etwas später im dynamischen Grundgesetz.
4.1.3 Messung von Kräften
Da wir keine Kräfte, nur deren Wirkungen beobachten können, verwendet jede Kraftmessung die Wirkungen, die diese Kraft hervorruft.
Der in Bild 4.5 dargestellte Federkraftmesser (engl. spring scale) ist eines der ältesten Messinstrumente für Kräfte. Er verwendet die Wirkung der Formänderung einer Schraubenfeder für die Messung einer Kraft. Je größer die Kraft, desto größer die Dehnung der Feder. Den genauen Zusammenhang zwischen Kraft und Formänderung findest du im Kapitel Federkraft.
4.1.4 Beispiele von Kräften
Kräfte werden meistens danach benannt, bei welchen Phänomenen sie auftreten. Wir unterscheiden zum Beispiel:
- die Gewichtskraft auf den Oberflächen von Himmelskörpern
- die Reibungskraft beim Bremsen eines Autos
- die Federkraft bei der Verformung von Schraubenfedern
- die Auftriebskraft beim Schwimmen und Sinken von Körpern in Flüssigkeiten
- die Hangabtriebskraft bei einer schiefen Ebene
- …
Auch wenn die Kräfte unterschiedliche Namen tragen, steckt in vielen Fällen derselbe physikalische Sachverhalt dahinter. Zum Beispiel ergibt sich die Hangabtriebskraft durch die Gewichtskraft.
4.1.5 Normalkraft
Übst du Kraft auf eine feste Oberfläche aus, stellst du fest, dass die Oberfläche eine Gegenkraft erzeugt (4.6, a). Sie ist gleich groß wie deine Kraft, zeigt aber in entgegengesetzter Richtung (Wechselwirkungsgesetz). Erhöhst du die Kraft, wächst auch die Gegenkraft der Oberfläche (4.6, b).
Der Ursprung dieser Gegenkraft ist jene Kraft, die Atome und Moleküle der Oberfläche zusammenhält. Dabei handelt es sich um die elektrische Kraft, wie du im Kapitel über chemische Bindungen erfahren wirst. Erhöhst du deine Kraft über die Festigkeit des Materials hinaus, bricht das Material. In diesem Moment verschwindet sofort deine Kraft, als auch die Gegenkraft der Oberfläche (4.6, c).
Die Gegenkraft einer Oberfläche steht immer normal (im rechten Winkel) zu ihr. Sie wird daher auch als Normalkraft (engl. normal force) bezeichnet. Handelt es sich bei der Oberfläche um den Boden, wird diese Gegenkraft auch als Bodenkraft (engl. ground reaction force) bezeichnet.
Und wenn du nicht normal auf die Oberfläche drückst? In diesem Fall kommt es zu einer Normalkraft und zusätzlich zu einer Reibungskraft parallel zur Oberfläche, die du in einem späteren Kapitel noch kennenlernen wirst.
4.1.6 Einteilung von Kräften
Beobachtest du Kraftwirkungen im Alltag (Bild 4.7), wirst du feststellen, dass du zwei Arten von Kräften unterscheiden kannst:
Kontaktkräfte (engl. contact force): Zwei Körper müssen sich berühren, damit es zu einer Kraftwirkung kommt. Beispiel für Kontaktkräfte sind die Reibungskraft oder die Seilkraft.
Nicht-Kontakt-Kräfte (engl. non-contact force): Bei diesen Kräften können zwei Körper Kraft aufeinander ausüben, ohne direkten Kontakt. Beispiele sind die Schwerkraft oder die Kraft zwischen zwei Magneten.
Vermutlich hast du kein Problem mit der Vorstellung, wie die Kraftübertragung stattfindet, wenn zwei Körper einander direkt berühren. Aber wie sollen zwei Körper miteinander wechselwirken, wenn sie sich nicht berühren? Wenn Körper, die nicht in direktem Kontakt stehen, aufeinander Kräfte ausüben, wird das mithilfe des Feldmodells erklärt.
4.1.7 Die vier Grundkräfte
Die offensichtliche Einteilung von Kräften aus dem letzten Abschnitt ist eigentlich nicht korrekt. Denn auch alle Kontaktkräfte sind mikroskopisch betrachtet die Folge einer Nicht-Kontakt-Kraft, nämlich der elektrischen Kraft.
Auch wenn du in diesem Kapitel verschiedene Namen für Kräfte je nach Anwendungsbereich kennenlernen wirst (Reibungskraft, Seilkraft, Federkraft,…), hat sich über viele Jahrhunderte herausgestellt:
Alle Kräfte im Universum lassen sich auf vier Grundkräfte zurückführen. |
Von diesen vier Grundkräften (engl. fundamental forces) kannst du in deinem Alltag sogar nur die Wirkung der Schwerkraft und der elektromagnetischen Kraft direkt beobachten.
Die Auswirkungen der schwachen Wechselwirkung und der starken Wechselwirkung sind auf den subatomaren Bereich beschränkt und sind den meisten Menschen unbekannt. Der Cartoonist und Wissenschaftler Randall Munroe hat das so ausgedrückt (Bild 4.8).
Der Schwerkraft und der elektromagnetischen Kraft sind jeweils eigene Kapitel gewidmet. Mehr über die schwache und starke Wechselwirkung erfährst du im Kapitel über Kräfte aus quantenmechanischer Sicht am Ende dieses Buches.