6.4 Gravitationsfeld
Wie der Hammerwerfer in Bild 6.28 Kraft auf die Kugel ausübt, ist dir anschaulich klar: Die Kugel und der Hammerwerfer sind mit einem dünnen Stahlseil verbunden – beide Körper haben also direkten Kontakt.
Aber wie können Erde und Mond aufeinander Kraft ausüben, wenn doch kein Stahlseil zwischen beiden gespannt ist? Wie „spürt“ der Mond die Anwesenheit der weit entfernten Erde?
In diesem Abschnitt lernst du das Feld-Modell und das Gravitationsfeld kennen.
6.4.1 Vermittler der Kraft
Dem Gravitationsgesetz liegt die Vorstellung zugrunde, dass Kräfte über beliebige Entfernungen ohne vermittelndes Medium wirken (Bild 6.29, a). Dieses Konzept wird Fernwirkung (engl. action at a distance) genannt.
Dieses Modell wurde von vielen Leuten als „mystisch“ abgelehnt und selbst Isaac Newton war mit der Vorstellung, dass es keinen Vermittler zwischen den Körpern gibt, unzufrieden.
Eine andere Idee sah so aus, dass winzige Teilchen vorhanden sind, die für unser Auge unsichtbar sind und die Kräfte durch Stöße übertragen. So wie ein Gas, das wir ebenfalls nicht sehen können, aber durch die Stöße seiner Gasteilchen mit den Wänden einen messbaren Druck verursacht. Aber wie lassen sich anziehende Kräfte durch ein solches Modell erklären?
Anfang des 19. Jahrhunderts beschäftigte sich Michael Faraday mit elektrischen Kräften und schlug ein anderes Modell vor. In seiner Vorstellung verändern Körper eine Eigenschaft im Raum um sich herum und alle anderen Körper reagieren auf diese Veränderung in ihrer Umgebung. Er führte das Feld als Modell in die Physik ein. In Bild 6.29 (b) ist das Gravitationsfeld auf der Erdoberfläche durch Feldlinien dargestellt. Ein Körper reagiert auf die vor Ort herrschende Feldstärke. Diese ursprünglich für elektrische Kräfte entwickelte Idee, wurde sehr bald auch für die Gravitation übernommen. Das Feld-Modell wird auch als Nahwirkungstheorie bezeichnet, weil Körper und Feld am selben Ort wechselwirken.
Alle modernen Theorien beschreiben physikalische Kräfte in Form von Feldern. Nicht nur elektromagnetische Kräfte und Gravitationskräfte, sondern auch die Kräfte zwischen den Elementarteilchen werden mit Feldern beschrieben. Die Feldvorstellung ist das bis heute erfolgreichste Modell zur Beschreibung von Kräften!
6.4.2 Feldstärke des Gravitationsfeldes
Zum „Ausmessen“ eines Gravitationsfeldes – etwa dem der Erde (Masse \(M\)) – kannst du eine sehr kleine Testmasse (Masse \(m\)) verwenden. Diese bringst du zu unterschiedlichen Raumpunkten und misst dort die Gravitationskraft (zum Beispiel mit einem Federkraftmesser).
Der so gemessene Kraftvektor hat aber einen Nachteil. Sein Wert ist abhängig von der Masse des jeweiligen Testkörpers. Eine andere Testmasse würde für jeden Raumpunkt einen anderen Wert liefern. Wir könnten daher nie von dem Gravitationsfeld der Erde sprechen. Deswegen wird als Feldvektor (Feldstärke) im Gravitationsfeld nicht die Gravitationskraft verwendet. Stattdessen wird als Gravitationsfeldstärke der folgende von der Testmasse unabhängige Ausdruck (Gravitationskraft pro Einheitsmasse) verwendet:
\[\begin{equation} \frac{F}{m} = \frac{G\cdot M\cdot m}{r^2\cdot m} = \frac{G\cdot M}{r^2} \tag{6.6} \end{equation}\]
Diesen Ausdruck hast du bereits im Abschnitt träge und schwere Masse kennengelernt. Er hat die Dimension einer Beschleunigung und entspricht genau der Schwerebeschleunigung \(g\) an dem jeweiligen Punkt.
6.4.3 Gravitationsfeld einer Kugel
Das Gravitationsfeld der Erde ist ein radiales Feld, dessen Feldlinien zum Zentrum (Massenmittelpunkt) zeigen (Bild 6.30).
Die Feldstärke nimmt (wie die Gravitationskraft) mit der Entfernung proportional zu \(1/r^2\) ab, wie du auch an der abnehmenden Feldliniendichte erkennen kannst. Ein Gravitationsfeld hat keine geschlossenen Feldlinien.
Würde die Testmasse nicht ebenfalls ein Gravitationsfeld um sich herum aufbauen und so die Feldmessung beeinflussen? Die Überlegung ist vollkommen richtig. Daher muss die Testmasse im Verhältnis zur Masse der felderzeugenden Massen sehr klein sein, um das zu messende Feld so wenig wie möglich zu beeinflussen.
6.4.4 Schwerefeld
Oft werden die Begriffe Gravitationsfeld und Schwerefeld synonym verwendet. Streng genommen sind beide aber nicht gleich, denn das Schwerefeld berücksichtigt, neben der Gravitation, auch noch die durch die Rotation des Himmelskörpers auftretende Zentrifugalkraft. Nur bei einem nicht rotierenden Planeten sind beide Felder gleich.
Die Schwerkraft (engl. apparent gravity oder effective gravity) ist streng genommen dann die um die Zentripetalkraft verminderte Gravitationskraft. An den (Rotations-)Polen eines Planeten sind Gravitations- und Schwerkraft gleich, denn dort ist die Zentripetalkraft null. Auf der Erde ist die Differenz beider Kräfte selbst am Äquator relativ gering (unter 0,5 %).
6.4.5 Teilchenbahnen und Feldlinie
Legst du eine Testmasse auf eine Feldlinie im Gravitationsfeld, gibt die Richtung der Feldlinie die Richtung der Kraft auf den Testkörper an. Die Vermutung liegt nahe, dass die Feldlinie der Bahn dieser Testmasse entspricht, wenn sie losgelassen wird.
In der Simulation (Bild 6.31) kannst du sehen, dass dies nicht immer der Fall ist. Der Grund ist die Trägheit der Masse. Bereits nach kurzer Zeit unterschieden sich oft schon die Richtungen von Geschwindigkeits- und Beschleunigungsvektor. Hätte ein Körper keine Trägheit (einen solchen Körper gibt es in der Natur nicht), würde aber auch keine Gravitationskraft auf ihn wirken.
6.4.6 Ausbreitungsgeschwindigkeit der Gravitation
Beginnen wir mit einem ziemlich radikalen Gedankenexperiment: Die Gravitationskraft zwischen Sonne und Erde sorgt für die notwendige Zentripetalkraft, damit die Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne bleibt. Würde ein Zauberer die Sonne einfach wegzaubern, wie lange würde es dauern, bis die Erde das Verschwinden der Sonne „erfährt“ und sich geradlinig weiterbewegt?
Verschwindet die Sonne, wird die Masse der Sonne null. Nach dem Gravitationsgesetz wird damit auch sofort die Kraft null.
Nach dem aktuellen Wissensstand kann sich keine Wirkung sofort (also ohne Verzögerung, instantan) im Raum ausbreiten. Die Erfahrung zeigt uns, dass jede Information maximal mit Lichtgeschwindigkeit übertragen werden kann. Würde die Sonne in diesem Moment verschwinden, verließe die Erde erst rund 8 Minuten später ihre Umlaufbahn – so lange benötigt die Feldinformation vom Verschwinden der Sonne, um mit Lichtgeschwindigkeit zur Erde zu gelangen.
In der Animation 6.32 bewegt sich eine Masse zunächst mit konstanter Geschwindigkeit und wird dann abrupt gestoppt. Die Bewegungsänderung erzeugt einen Knick in den Feldlinien, der sich mit endlicher Geschwindigkeit in den Raum ausbreitet. Das Gravitationsgesetz von Newton berücksichtigt diese Verzögerung in der Kraftwirkung nicht. In vielen Fällen ist der Fehler durch die Verzögerung allerdings so klein, dass wir die sie in unseren Berechnungen vernachlässigen können.