6.4 Gravitationsfeld

Wie der Hammerwerfer in Bild 6.29 Kraft auf die Kugel ausübt, ist dir anschaulich klar: Die Kugel und der Hammerwerfer sind mit einem dünnen Stahlseil verbunden – beide Körper haben also direkten Kontakt.

Hammerwerfer

Bild 6.29: Hammerwerfer

Aber wie können Erde und Mond aufeinander Kraft ausüben, wenn doch kein Stahlseil zwischen beiden gespannt ist? Wie „spürt“ der Mond die Anwesenheit der weit entfernten Erde?

In diesem Abschnitt lernst du das Feld-Modell und das Gravitationsfeld kennen.

6.4.1 Vermittler der Kraft

Dem Gravitationsgesetz liegt die Vorstellung zugrunde, dass Kräfte über beliebige Entfernungen ohne vermittelndes Medium wirken (Bild 6.30, a). Dieses Konzept wird Fernwirkung (engl. action at a distance) genannt.

Konzept einer Fernwirkungskraft (links) und Kraftwirkung durch ein Feld (rechts)

Bild 6.30: Konzept einer Fernwirkungskraft (links) und Kraftwirkung durch ein Feld (rechts)

Dieses Modell wurde von vielen Leuten als „mystisch“ abgelehnt und selbst Isaac Newton war mit der Vorstellung, dass es keinen Vermittler zwischen den Körpern gibt, unzufrieden.

Eine andere Idee sah so aus, dass winzige Teilchen vorhanden sind, die für unser Auge unsichtbar sind und die Kräfte durch Stöße übertragen. So wie ein Gas, das wir ebenfalls nicht sehen können, aber durch die Stöße seiner Gasteilchen mit den Wänden einen messbaren Druck verursacht. Aber wie lassen sich anziehende Kräfte durch ein solches Modell erklären?

Anfang des 19. Jahrhunderts beschäftigte sich Michael Faraday mit elektrischen Kräften und schlug ein anderes Modell vor. In seiner Vorstellung verändern Körper eine Eigenschaft im Raum um sich herum und alle anderen Körper reagieren auf diese Veränderung in ihrer Umgebung. Er führte das Feld als Modell in die Physik ein. In Bild 6.30 (b) ist das Gravitationsfeld auf der Erdoberfläche durch Feldlinien dargestellt. Ein Körper reagiert auf die vor Ort herrschende Feldstärke. Diese ursprünglich für elektrische Kräfte entwickelte Idee wurde bald darauf auch für die Schwerkraft übernommen. Das Feld-Modell wird auch als Nahwirkungstheorie bezeichnet, weil Körper und Feld am selben Ort wechselwirken.

Alle modernen Theorien beschreiben physikalische Kräfte in Form von Feldern. Nicht nur elektromagnetische Kräfte und Gravitationskräfte, sondern auch die Kräfte zwischen den Elementarteilchen werden mit Feldern beschrieben. Die Feldvorstellung ist das bis heute erfolgreichste Modell zur Beschreibung von Kräften!

6.4.2 Feldstärke des Gravitationsfeldes

Zum „Ausmessen“ eines Gravitationsfeldes – etwa dem der Erde (Masse \(M\)) – kannst du eine Testmasse (Masse \(m\)) verwenden. Diese bringst du zu unterschiedlichen Raumpunkten und misst dort die Gravitationskraft (zum Beispiel mit einem Federkraftmesser). Da aber prinzipiell jede Masse das gesamte Gesamtfeld ändert, muss die Testmasse im Verhältnis zu den felderzeugenden Massen möglichst klein sein, um das zu messende Gravitationsfeld möglichst nicht zu verändern.

Der so gemessene Kraftvektor hat aber einen Nachteil. Sein Wert ist abhängig von der Masse des jeweiligen Testkörpers. Eine andere Testmasse würde für jeden Raumpunkt einen anderen Wert liefern. Wir könnten daher nie von dem Gravitationsfeld der Erde sprechen. Deswegen wird als Feldvektor (Feldstärke) im Gravitationsfeld nicht die Gravitationskraft verwendet. Stattdessen wird als Gravitationsfeldstärke der folgende von der Testmasse unabhängige Ausdruck (Gravitationskraft pro Einheitsmasse) verwendet:

\[\begin{equation} \frac{F}{m} = \frac{G\cdot M\cdot m}{r^2\cdot m} = \frac{G\cdot M}{r^2} \tag{6.7} \end{equation}\]

Diesen Ausdruck hast du bereits im Abschnitt träge und schwere Masse kennengelernt. Er hat die Dimension einer Beschleunigung und entspricht genau der Schwerebeschleunigung \(g\) an dem jeweiligen Punkt.

6.4.3 Gravitationsfeld einer Kugel

Das Gravitationsfeld der Erde ist ein radiales Feld, dessen Feldlinien zum Zentrum (Massenmittelpunkt) zeigen (Bild 6.31).

Gravitationsfeld der Erde

Bild 6.31: Gravitationsfeld der Erde

Die Feldstärke nimmt (wie die Gravitationskraft) mit der Entfernung proportional zu \(1/r^2\) ab, wie du auch an der abnehmenden Feldliniendichte erkennen kannst. Ein Gravitationsfeld hat keine geschlossenen Feldlinien.

6.4.4 Schwerefeld

Oft werden die Begriffe Gravitationsfeld und Schwerefeld synonym verwendet. Streng genommen sind beide aber nicht gleich, denn das Schwerefeld berücksichtigt, neben der Gravitation, auch noch die Zentripetalkraft. Nur bei einem nicht rotierenden Planeten sind beide Felder gleich (Bild 6.32, a).

Am Äquator: (a) Planet ohne Rotation: Gravitations- und Gewichtskraft sind gleich. (b) Planet mit Rotation: Gewichtskraft ist um die Zentripetalkraft vermindert. (c) Aus des Sicht des rotierenden Bezugssystems Planet: Gewichtskraft als Vektorsumme von Gravitationskraft und Zentrifugalkraft.

Bild 6.32: Am Äquator: (a) Planet ohne Rotation: Gravitations- und Gewichtskraft sind gleich. (b) Planet mit Rotation: Gewichtskraft ist um die Zentripetalkraft vermindert. (c) Aus des Sicht des rotierenden Bezugssystems Planet: Gewichtskraft als Vektorsumme von Gravitationskraft und Zentrifugalkraft.

Die an der Planetenoberfläche gemessene Schwerkraft (engl. apparent gravity oder effective gravity) ist die um die Zentripetalkraft verminderte Gravitationskraft (Bild 6.32, b). Die Differenz ist am Äquator am Größten (größter Abstand zur Drehachse) und nimmt mit dem Kosinus des Breitengrads ab. An den beiden (Rotations-)Polen eines Planeten sind Gravitations- und Schwerkraft gleich, denn dort ist der Abstand zur Rotationsachse null.

Auf der Erde ist der Unterschied beider Kräfte aber selbst am Äquator relativ gering (unter \(0{,}5\,\%\), siehe Anwendungsbeispiel zur Schwerkraft).

6.4.5 Teilchenbahnen und Feldlinien

Legst du eine Testmasse auf eine Feldlinie im Gravitationsfeld, gibt die Richtung der Feldlinie die Richtung der Kraft auf den Testkörper an. Die Vermutung liegt nahe, dass die Feldlinie der Bahn dieser Testmasse entspricht, wenn sie losgelassen wird.

Teilchenbahn in einem Kraftfeld (Geschwindigkeitsvektor (grün), Beschleunigungsvektor (blau))

Bild 6.33: Teilchenbahn in einem Kraftfeld (Geschwindigkeitsvektor (grün), Beschleunigungsvektor (blau))

In der Simulation (Bild 6.33) kannst du sehen, dass dies nicht immer der Fall ist. Der Grund ist die Trägheit der Masse. Bereits nach kurzer Zeit unterscheiden sich meist die Richtungen von Geschwindigkeits- und Beschleunigungsvektor. Hätte ein Körper keine Trägheit (einen solchen Körper gibt es in der Natur nicht), würde aber auch keine Gravitationskraft auf ihn wirken.

6.4.6 Ausbreitungsgeschwindigkeit der Gravitation

Beginnen wir mit einem ziemlich radikalen Gedankenexperiment: Die Gravitationskraft zwischen Sonne und Erde sorgt für die notwendige Zentripetalkraft, damit die Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne bleibt. Würde ein Zauberer die Sonne einfach wegzaubern, wie lange würde es dauern, bis die Erde das Verschwinden der Sonne „erfährt“ und sich geradlinig weiterbewegt?

Verschwindet die Sonne, wird die Masse der Sonne null. Nach dem Gravitationsgesetz wird damit auch sofort die Kraft null.

Nach dem aktuellen Wissensstand kann sich keine Wirkung sofort (also ohne Verzögerung, instantan) im Raum ausbreiten. Die Erfahrung zeigt uns, dass jede Information maximal mit Lichtgeschwindigkeit übertragen werden kann. Würde die Sonne in diesem Moment verschwinden, verließe die Erde erst rund 8 Minuten später ihre Umlaufbahn – so lange benötigt die Feldinformation vom Verschwinden der Sonne, um mit Lichtgeschwindigkeit zur Erde zu gelangen.

Ausbreitende Störung im Gravitationsfeld (stark verlangsamt)

Bild 6.34: Ausbreitende Störung im Gravitationsfeld (stark verlangsamt)

In der Animation 6.34 bewegt sich eine Masse zunächst mit konstanter Geschwindigkeit und wird dann abrupt gestoppt. Die Bewegungsänderung erzeugt einen Knick in den Feldlinien, der sich mit endlicher Geschwindigkeit im Raum ausbreitet. Das Gravitationsgesetz von Newton berücksichtigt diese Verzögerung in der Kraftwirkung nicht. In der Natur verschwinden Himmelskörper nicht einfach spurlos und sie machen auch von selbst keine abrupten Bewegungsänderungen, daher kann die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der Feldinformation bei den meisten Berechnungen von Flugbahnen vernachlässigt werden. In allen anderen Fällen muss die Allgemeine Relativitätstheorie – eine noch genauere Beschreibung der Gravitation – verwendet werden, die diesen Effekt berücksichtigt.

6.4.7 Anwendungsbeispiel zur Schwerkraft

Die Erde dreht sich um die Erdachse. Da du dich mit der Erde mitdrehst, misst du mit einer Personenwaage nicht die Gravitationskraft, sondern die um die Zentripetalkraft verminderte Gewichtskraft. Berechne, um wie viel Prozent deine Gewichtskraft am Äquator zunähme, würde sich die Erde nicht drehen.

Da sowohl die Gewichtskraft als auch die Zentripetalkraft linear von der Masse abhängen, können wir uns auf die Berechnung der prozentuellen Änderung der Beschleunigung beschränken. Wir gehen von einer kugelförmigen Erde aus und berechnen die Fallbeschleunigung \(g'\) an ihrer Oberfläche, die sich nur durch die Gravitation ergibt (Gleichung (6.6)):

\[ \begin{aligned} g' = {} & G\cdot\frac{M}{r^2} \\ = {} & 6{,}67\cdot 10^{-11}\;\frac{\mathrm{m}^3}{\mathrm{kg}\cdot \mathrm{s}^2}\cdot\frac{5{,}97\cdot 10^{24}\,\mathrm{kg}}{(6\,378\,000\,\mathrm{m})^2} \\ = {} & 9{,}78\ldots\;\mathrm{m/s^2} \\ \end{aligned} \]

Als Nächstes berechnen wir aus der Bahngeschwindigkeit die Zentripetalbeschleunigung (3.14) für eine Person am Äquator:

\[ \begin{aligned} a_\text{Zp} = {} & \frac{v^2}{r} \\ = {} & \left(\frac{2\pi r}{T}\right)^2\cdot \frac{1}{r} \\ = {} & \frac{4\pi^2 r^{\cancel{2}}}{T^2}\cdot \frac{1}{\cancel{r}} \\ = {} & \frac{4\pi^2 r}{T^2} \\ = {} & \frac{4\pi^2\cdot 6\,378\,000\,\mathrm{m}}{(86\,400\,\mathrm{s})^2} \\ = {} & 0{,}033\ldots\;\mathrm{m/s^2} \\ \end{aligned} \]

Die verminderte Fallbeschleunigung \(g\) erhalten wir als Differenz von Fallbeschleunigung und Zentripetalbeschleunigung:

\[ \begin{aligned} g = {} & g' - a_\text{Zp}\\ = {} & 9{,}78\ldots\;\mathrm{m/s^2} - 0{,}033\ldots\;\mathrm{m/s^2}\\ = {} & 9{,}75\ldots\;\mathrm{m/s^2} \\ \end{aligned} \]

Jetzt fehlt noch die Berechnung der prozentuellen Änderung:

\[ \begin{aligned} p = {} & \frac{g'-g}{g} \cdot 100\,\% \\ = {} & \frac{9{,}78\ldots-9{,}75\ldots}{9{,}75\ldots} \cdot 100\,\% \\ = {} & 0{,}34\ldots\,\% \\ \end{aligned} \]

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