7.2 Winkelgeschwindigkeit und -beschleunigung

Funkenflug bei der Arbeit mit einem Winkelschleifer

Bild 7.6: Funkenflug bei der Arbeit mit einem Winkelschleifer

Auch bei Drehbewegungen wie bei der Scheibe des Winkelschleifers im Bild 7.6 ist es sinnvoll, von einer „Geschwindigkeit“ zu sprechen. Wird die Maschine ein- oder ausgeschaltet, wird die Drehbewegung schneller oder langsamer. Hier ist es sinnvoll, von einer „Beschleunigung“ zu sprechen. Obwohl wir die Definitionen von Geschwindigkeit und Beschleunigung nicht 1:1 aus der Translation übernehmen können, versuchen wir diese Größen analog in der Rotation zu definieren.

7.2.1 Mittlere Winkelgeschwindigkeit

Wir übernehmen die Idee der mittleren Geschwindigkeit und übertragen sie auf die Rotation. Statt der Ortsänderung verwenden wir hier die Drehwinkeländerung. Die mittlere Winkelgeschwindigkeit \(\omega\) (engl. mean angular velocity oder angular frequency) ist definiert als:

\[\begin{equation} \omega_m = \frac{ \varphi_2 - \varphi_1 }{t_2-t_1}=\frac{\Delta\varphi}{\Delta t}=\frac{\text{Drehwinkeländerung}}{\text{benötigte Zeit}} \tag{7.4} \end{equation}\]

Das Formelsymbol der (mittleren) Winkelgeschwindigkeit ist der griechische Kleinbuchstabe Omega.

Bei einem sehr kleinen Zeitintervall \(\Delta t\) sprechen wir von der (momentanen) Winkelgeschwindigkeit zu einem Zeitpunkt.

7.2.2 Einheit der Winkelgeschwindigkeit

Um auf die Einheit der Winkelgeschwindigkeit zu kommen, setzen wir in die Definitionsgleichung ein:

\[ [\omega] = \frac{[\varphi]}{[t]} = \frac{\mathrm{rad}}{\mathrm{s}} = \frac{1}{\mathrm{s}} = \mathrm{s}^{-1} \]

Da der Radiant eine dimensionslose Größe ist, lautet die Einheit der Winkelgeschwindigkeit eigentlich nur \(1/\mathrm{s}\). Um Verwechslungen vorzubeugen, schreiben wir trotzdem immer \(\mathrm{rad}/\mathrm{s}\).

7.2.3 Periodendauer und Winkelgeschwindigkeit

Den Begriff der Periodendauer hast du schon im Kapitel über die gleichförmige Kreisbewegung kennengelernt. Der Zusammenhang von Winkelgeschwindigkeit \(\omega\) einer gleichmäßigen Drehbewegung und seiner Periodendauer \(T\) lautet:

\[\begin{equation} \omega=\frac{2\pi}{T} \tag{7.5} \end{equation}\]

7.2.4 Herleitung Winkelgeschwindigkeit und Periodendauer

Bei einer gleichmäßigen Drehbewegung ist die Winkelgeschwindigkeit \(\omega\) konstant und für den Drehwinkel gilt:

\[\begin{equation} \varphi = \omega\cdot t \tag{7.6} \end{equation}\]

Die Periodendauer \(T\) ist die Zeit für eine volle Umdrehung. Das entspricht einem Drehwinkel von \(\varphi = 2\pi\). Setzt du diesen Winkel in die Gleichung (7.6) ein, erhältst du:

\[ \begin{aligned} 2\pi = {} & \omega\cdot T \qquad\Bigr\rvert\cdot \frac{1}{T}\\ \omega = {} & \frac{2\pi}{T} \\ \end{aligned} \]

Also die Gleichung (7.5).

7.2.5 Frequenz und Winkelgeschwindigkeit

Bei einer gleichmäßigen Drehbewegung ist die Winkelgeschwindigkeit konstant (\(\omega=\text{const.}\)) und auch die Anzahl der Umdrehungen pro Sekunde, also auch ihre Frequenz konstant.

Eine Frequenz von einer Umdrehung pro Sekunde entspricht einer Winkelgeschwindigkeit von \(2\pi\), eine Frequenz von zwei Umdrehungen pro Sekunde entspricht einer Winkelgeschwindigkeit von \(2\cdot2\pi=4\pi\), und so weiter. Die Winkelgeschwindigkeit ist offensichtlich proportional zur Frequenz und es gilt der Zusammenhang:

\[\begin{equation} \omega = 2\pi\cdot f \tag{7.7} \end{equation}\]

7.2.6 Winkel- und Tangentialgeschwindigkeit

Lösen sich Teilchen eines rotierenden Körpers während der Drehbewegung ab (zum Beispiel die Funken in Bild 7.6), bewegen sie sich mit einer konstanten Geschwindigkeit \(v\) geradlinig weiter (siehe Abschnitt Wegfallen der Zentripetalkraft).

Winkelgeschwindigkeit, Radius und Tangentialgeschwindigkeit

Bild 7.7: Winkelgeschwindigkeit, Radius und Tangentialgeschwindigkeit

Die Tangentialgeschwindigkeit eines Punktes ist proportional zur Winkelgeschwindigkeit der Scheibe und zum Abstand des Punktes von der Drehachse (Bild 7.7):

\[ v = r\cdot \omega \tag{7.8} \]

In dieser Formel bedeuten:

  • \(v\), die Tangentialgeschwindigkeit eines Punktes auf einem rotierenden Körper (in \(\mathrm{m/s}\))
  • \(r\), der Abstand des Punktes zur Drehachse (in \(\mathrm{m}\))
  • \(\omega\), die Winkelgeschwindigkeit des rotierenden Körpers (in \(\mathrm{rad}/\mathrm{s}\))

Für den Einheitskreis (\(r=1\)) sind Winkelgeschwindigkeit und Tangentialgeschwindigkeit zahlenmäßig gleich groß! Diese einfache Beziehung gilt nur deshalb, weil wir uns dafür entschieden haben, Winkel im Bogenmaß anzugeben.

Machst du eine Dimensionsbetrachtung, steht auf beiden Seiten der Gleichung Unterschiedliches:

\[\begin{align} {[}v{]} = {} & [r]\cdot [\omega] \notag \\ \mathrm{m/s} = {} & \mathrm{m}\cdot \mathrm{rad/s} \notag \\ \end{align}\]

Das ist aber nur ein scheinbarer Widerspruch, denn wenn du dich erinnerst, ist der Winkel im Bogenmaß eine dimensionslose Größe. Auf beiden Seiten steht also dieselbe Einheit \(\mathrm{m/s}\).

7.2.7 Herleitung Winkel- und Tangentialgeschwindigkeit

Um einen Zusammenhang zwischen der Winkelgeschwindigkeit \(\omega\) der Scheibe und der Tangentialgeschwindigkeit \(v\) der Funken herzuleiten, beginnen wir mit der Definition der translatorischen Geschwindigkeit:

\[ v = \frac{\Delta s}{\Delta t} \]

Die Bahn eines Punktes auf einem rotierenden Körper ist immer ein Kreisbogen mit der Länge \(b=r\cdot \varphi\). Setzen wir diesen Kreisbogen für die das Wegstück \(s\) ein, erhalten wir:

\[ v = \frac{\Delta (r\cdot \varphi)}{\Delta t} \]

Der Radius des Bogens ist aber für einen Punkt konstant, daher können wir ihn aus der Differenz herausheben:

\[ \begin{aligned} v = {} & \frac{r\cdot \Delta \varphi}{\Delta t} \\ v = {} & r\cdot \frac{\Delta \varphi}{\Delta t} \\ \end{aligned} \]

Der Bruch entspricht aber gerade der Definition der Winkelgeschwindigkeit (Gleichung (7.4)) und somit erhalten wir Gleichung (7.8):

\[ v = r\cdot \omega \]

7.2.8 Tangentialgeschwindigkeit auf einer rotierenden Kugel

Auf einer Kugeloberfläche kommt es bei einer konstanten Drehung zu unterschiedlichen Tangentialgeschwindigkeiten, je nachdem, wo du dich auf dieser Oberfläche befindest (Bild 7.8). Setzt du in die Formel für die Tangentialgeschwindigkeit den Kugelradius \(r_0\) ein, erhältst du die größtmögliche Geschwindigkeit – die Tangentialgeschwindigkeit für einen Punkt am Kugel-Äquator. An den Kugel-Polen ist der Radius null und damit auch die Tangentialgeschwindigkeit.

Unterschiedliche Tangentialgeschwindigkeit auf einer Kugeloberfläche

Bild 7.8: Unterschiedliche Tangentialgeschwindigkeit auf einer Kugeloberfläche

Für Punkte, die zwischen Pol und Äquator liegen, lässt sich die Tangentialgeschwindigkeit zum Beispiel über den Höhenwinkel \(\beta\) berechnen. Im rechtwinkeligen Dreieck entspricht der Bahnradius \(r\) der Ankathete und der Kugelradius \(r_0\) der Hypotenuse.

\[ \begin{aligned} \frac{r}{r_0} = {} & \cos(\beta) &&\Bigr\rvert\cdot r_0\\ r = {} & r_0\cdot\cos(\beta)\\ \end{aligned} \]

Die Tangentialgeschwindigkeit vermindert sich dann ebenfalls mit dem Kosinus des Winkels.

\[ v=r\cdot \omega=r_0\cdot\cos(\beta)\cdot \omega \]

Der Höhenwinkel \(\beta\) entspricht auf der Erde der geografischen Breite.

7.2.9 Winkelbeschleunigung

Analog zur mittleren Beschleunigung definieren wir die mittlere Winkelbeschleunigung (engl. mean angular acceleration) als zeitliche Änderung der Winkelgeschwindigkeit.

\[ \alpha_m = \frac{ \omega_2 - \omega_1 }{t_2-t_1}=\frac{\Delta\omega}{\Delta t}=\frac{\text{Änderung der Winkelgeschwindigkeit}}{\text{benötigte Zeit}} \]

Das Formelsymbol der (mittleren) Winkelbeschleunigung ist der griechische Kleinbuchstabe Alpha.

Bei einem sehr kleinen Zeitintervall \(\Delta t\) sprechen wir von der (momentanen) Winkelbeschleunigung zu einem Zeitpunkt.

7.2.10 Einheit der Winkelbeschleunigung

Um auf die Einheit der Winkelbeschleunigung zu kommen, setzen wir in die Definitionsgleichung ein:

\[ [\alpha] = \frac{[\omega]}{[t]} = \frac{\mathrm{rad/s}}{\mathrm{s}} = \frac{\mathrm{rad}}{\mathrm{s^2}} = \frac{1}{\mathrm{s^2}} = \mathrm{s}^{-2} \]

Da Radiant eine dimensionslose Größe ist, lautet die Einheit der Winkelgeschwindigkeit eigentlich nur \(1/\mathrm{s^2}\). Um Verwechslungen vorzubeugen, schreiben wir trotzdem immer \(\mathrm{rad}/\mathrm{s^2}\).

7.2.11 Winkel- und Zentripetalbeschleunigung

In einem früheren Abschnitt haben wir uns den Zusammenhang von Winkel- und Tangentialgeschwindigkeit bei einem rotierenden Körper angesehen. Für die Winkel- und Zentripetalbeschleunigung gilt der gleiche lineare Zusammenhang:

\[ a_\text{z} = r\cdot \alpha \tag{7.9} \]

In dieser Formel bedeuten:

  • \(a_\text{z}\), die Zentripetalbeschleunigung eines Punktes auf einem rotierenden Körper (in \(\mathrm{m/s^2}\))
  • \(r\), der Abstand des Punktes zur Drehachse (in \(\mathrm{m}\))
  • \(\alpha\), die Winkelbeschleunigung des rotierenden Körpers (in \(\mathrm{rad}/\mathrm{s}\))

7.2.12 Herleitung Winkel- und Zentripetalbeschleunigung

Beginnen wir mit der Definition der translatorischen Beschleunigung:

\[ a = \frac{\Delta v}{\Delta t} \]

Bei einer Rotation können wir für die Geschwindigkeit eines Punktes die Tangentialgeschwindigkeit \(v=r\cdot\omega\) einsetzen. Dann erhalten wir:

\[ a = \frac{\Delta r\cdot\omega}{\Delta t} \]

Der Abstand \(r\) des Punktes zum Drehpunkt ändert sich bei einer Rotation nicht. Daher können wir ihn aus der Differenz herausheben und erhalten:

\[ a = r\cdot\frac{\Delta \omega}{\Delta t} \]

Der Bruch entspricht der Definition der Winkelbeschleunigung. Einsetzen liefert den gesuchten Zusammenhang:

\[ a = r\cdot\alpha \]

7.2.13 Rechenbeispiel zu Winkelgeschwindigkeit und -beschleunigung

Kreissägeblatt

Bild 7.9: Kreissägeblatt

Ein Kreissägeblatt (Durchmesser \(30\;\mathrm{cm}\)) dreht sich \(3\,000\) mal pro Minute um die eigene Achse. Berechne die Frequenz, Periodendauer und Winkelgeschwindigkeit des Kreissägeblattes. Berechne die Geschwindigkeit, mit der sich die Zähne in das Holz sägen. Nach dem Abschalten des Motors kommt das Blatt nach \(1\;\mathrm{s}\) zum Stillstand. Berechne die dabei auftretende Winkelbeschleunigung.

\(3\,000\) Umdrehungen pro Minute entsprechen \(3\,000/60=50\) Umdrehungen pro Sekunde. Das entspricht aber genau der Definition der Frequenz, also \(f=50\;\mathrm{Hz}\).

Die Periodendauer ist der Kehrwert der Frequenz, also \(T=0{,}02\;\mathrm{s}\).

Die Winkelgeschwindigkeit kann über die Frequenz berechnet werden:

\[ \omega=2\pi f = 2\pi\cdot 50 = 314{,}15\ldots\;\mathrm{rad/s} \]

Die Geschwindigkeit, mit der sich die Zähne in das Holz sägen, entspricht der Tangentialgeschwindigkeit am Umfang der Scheibe. Der Radius beträgt \(r=30/2\;\mathrm{cm}=15\;\mathrm{cm}=0{,}15\;\mathrm{m}\). Für die Tangentialgeschwindigkeit ergibt sich:

\[ v = r\cdot \omega = 0{,}15\cdot 314{,}15\ldots = 47{,}12\ldots\;\mathrm{m/s} \]

Vor dem Abschalten ist die Winkelgeschwindigkeit \(314{,}15\ldots\;\mathrm{rad/s}\) und nach der Zeitspanne \(1\;\mathrm{s}\) schließlich \(0\;\mathrm{rad/s}\). Die mittlere Winkelbeschleunigung ist daher:

\[ \alpha_m = \frac{ \omega_2 - \omega_1 }{t_2-t_1} = \frac{ 0 - 314{,}15\ldots}{1} = -314{,}15\ldots\;\mathrm{rad/s^2} \]