7.3 Drehkraft

Im Kapitel Kraft geht es um die Wirkung von Kräften, die auf einen Massenpunkt wirkt. In diesem Kapitel wollen wir die Wirkung von Kräften untersuchen, die an einem starren Körper angreifen.

Wippe auf einem Spielplatz

Bild 7.10: Wippe auf einem Spielplatz

Das einfachste Gerät, mit dem wir die Wirkung von Drehkräften an einem starren Körper untersuchen können, kennst du vermutlich schon aus deiner Kindergartenzeit: Es ist die Wippe (Bild 7.10).

7.3.1 Hebel

Um die Wirkung von Drehkräften zu vergleichen, beladen wir eine Wippe auf beiden Seiten mit unterschiedlich großen Massen. Die Wirkung der Drehkraft hängt von zwei Größen ab:

  • der Abstand \(r\) vom Drehzentrum
  • die Größe der dort angreifenden Normalkraft \(F\) (in unserem Beispiel die Gewichtskraft der Körper)
Wippe im Gleichgewicht

Bild 7.11: Wippe im Gleichgewicht

Auf einer Seite verschieben wir die Masse so lange, bis die Wippe im Gleichgewicht ist – die Drehkräfte auf der linken und rechten Seite heben einander gerade auf (Bild 7.11). Messen wir nach, stellen wir fest, dass im Falle eines Gleichgewichts das Produkt aus Kraft \(F\) und Abstand \(r\) vom Drehpunkt auf beiden Seiten gleich groß ist. Für die Wippe gilt:

\[\begin{equation} F_1\cdot r_1 =F_2\cdot r_2 \tag{7.10} \end{equation}\]

Dieses Hebelgesetz (engl. law of the lever) war spätestens seit er Antike bekannt. Da es in den meisten Fällen dazu verwendet wird, um bei Arbeiten Kraft zu sparen, wird es oft in der folgenden Form geschrieben:

„Kraft mal Kraftarm ist gleich Last mal Lastarm.“

7.3.2 Ein- und zweiseitiger Hebel

Je nach Lage des Drehpunkts (engl. fulcrum) lassen sich zwei Arten von Hebeln unterschieden (Bild 7.12):

  • zweiseitiger Hebel (engl. class 1 lever): Hier befinden sich Kraft- und Lastarm auf gegenüberliegenden Seiten des Drehpunkts. Beispiele für zweiseitige Hebel sind Wippe, Schere und Zange.

  • einseitiger Hebel (engl. class 2 lever): Hier befinden sich Kraft- und Lastarm auf derselben Seite des Drehpunkts. Ein Beispiel für einen einseitigen Hebel ist die Schubkarre oder Scheibtruhe.

Beispiel für einen zweiseitigen (links) und einen einseitigen Hebel (rechts)

Bild 7.12: Beispiel für einen zweiseitigen (links) und einen einseitigen Hebel (rechts)

7.3.3 Drehmoment

Bei einer Wippe im Gleichgewicht (Bild 7.11) haben wir einen besonders einfachen Fall. Wie ändert sich die Drehkraft, wenn Kraftvektor und Radiusvektor nicht normal (im rechten Winkel) aufeinander stehen?

Wirkung einer Drehkraft bei beliebigen Winkeln

Bild 7.13: Wirkung einer Drehkraft bei beliebigen Winkeln

Jeden Kraftvektor, der im Abstand \(r\) an einem starren Körper angreift, kannst du in zwei Kraftkomponenten zerlegen, die unterschiedliche Wirkungen haben (Bild 7.13):

  • Die Wirklinie der Kraftkomponente \(F_\parallel\) geht durch den Drehpunkt. Diese Komponente übt zwar Kraft auf die Drehachse aus, bewirkt aber keine Drehung.

  • Im Unterschied dazu ist die Kraftkomponente \(F_\perp\) für die Drehung des starren Körpers zuständig.

Die Größe der Drehkraft heißt Drehmoment \(M\) (engl. torque). Schließen \(r\) und \(F\) den Winkel \(\alpha\) ein, gilt für die Drehkraft:

\[\begin{equation} M = r\cdot F_\perp = r\cdot F\cdot\sin(\alpha) \tag{7.11} \end{equation}\]

Für \(\alpha=90^\circ\) erhältst du das maximale Drehmoment. Für jeden anderen Winkel ist das Drehmoment kleiner und für \(\alpha=0^\circ\) schließlich ist das Drehmoment null.

Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, das Drehmoment zu berechnen. Im Abschnitt Wirklinie hast du erfahren, dass sich die Wirkung einer Kraft nicht ändert, wenn sie entlang ihrer Wirklinie verschoben wird. Wir verschieben die Kraft \(F\) so lange, bis sie mit dem Abstand \(d\) einen rechten Winkel bildet (Normalabstand von Wirklinie und Drehpunkt). Du erhältst das Drehmoment dann auch durch die Rechnung:

\[ M = d\cdot F \]

Vielleicht bist du jetzt wegen des Artikels verwirrt. Im Deutschen steht das Wort Moment für zwei vollkommen unterschiedliche Begriffe (solche Wörter heißen Homonyme). Das dir vermutlich vertraute Wort der Moment bezeichnet eine kurze Zeitspanne, während das Moment (abgeleitet vom lateinischen Wort momentum für „Bewegung“, „Grund“, „Einfluss“) die Ursache einer Dreh-Wirkung bezeichnet.

7.3.4 Einheit des Drehmoments

Um die Einheit des Drehmoments zu erhalten, setzen wir in die Definitionsgleichung ein:

\[ [M] = [F]\cdot [r] = \mathrm{N}\cdot\mathrm{m} \]

Die Einheit „Newton Meter“ hat keinen eigenen Namen.

7.3.5 Richtung des Drehmoments

Je nach Richtung der angreifenden Kraft ergibt sich eine rechtsdrehende oder linksdrehende Wirkung. Die Richtung der Wirkung wird als Vorzeichen des Drehmoments angegeben. Das Vorzeichen folgt der mathematischen Konvention für Drehrichtungen. Dabei gilt (Bild 7.14):

  • Linksdrehung: positives Vorzeichen („gegen den Uhrzeigersinn“)
  • Rechtsdrehung: negatives Vorzeichen („im Uhrzeigersinn“)
Vorzeichen und Drehrichtung

Bild 7.14: Vorzeichen und Drehrichtung

7.3.6 Gesamtdrehmoment

Wirken mehrere Drehmomente \(M_1, M_2, M_3, \ldots\) auf einen drehbar gelagerten Körper, ist das Gesamtdrehmoment die Summe der einzelnen Drehmomente:

\[ M_{ges} = M_1 + M_2 + M_3 + \ldots = \sum M_i \]

Der griechische Großbuchstabe Sigma (\(\Sigma\)) steht in der Mathematik für die Summe von Werten, hier für die Summe der Drehmomente. Der allgemeine Index \(i\) steht dabei für die Indizes \(1,2,3,\ldots\) der einzelnen Summanden.

Das Vorzeichen des Gesamtdrehmoments entscheidet, ob sich der Körper unter dem Einfluss der Drehmomente nach links oder rechts dreht.

7.3.7 Momentengleichgewicht

Im Abschnitt Aufteilung von Kräften hast du gesehen, dass es zu keiner Wirkung kommt, wenn die (Vektor)Summe aller Kräfte auf einen Körper null ist. Analog kommt es zu keiner Drehwirkung, wenn sich alle Drehmomente eines Körpers gerade aufheben, also das Gesamtdrehmoment gleich null ist (Momentengleichgewicht, engl. equilibrium of torques).

\[\begin{equation} M_{ges} = \sum M_i = 0 \tag{7.12} \end{equation}\]

Wobei \(M_1, M_2, M_3, \ldots\) die einzelnen Drehmomente bezeichnen, die auf den Körper wirken.

7.3.8 Drehmoment als Vektor

Für die Beschreibung der Drehkraft um eine Achse im Raum wird das Drehmoment als Vektor definiert:

\[ \vec{M}=\vec{r}\times \vec{F} \]

Das Drehmoment \(\vec{M}\) ist das Kreuzprodukt aus dem Radiusvektor \(\vec{r}\) und dem Kraftvektor \(\vec{F}\) (Bild 7.15).

Drehmoment als Kreuzprodukt von Radius und Kraft

Bild 7.15: Drehmoment als Kreuzprodukt von Radius und Kraft

Durch den Drehmoment-Vektor wird eine Drehkraft vollständig beschrieben:

  • seine Länge entspricht der Größe der Drehkraft
  • seine Richtung entspricht der Drehachse
  • seine Orientierung enthält die Information der Drehrichtung (links- oder rechtsdrehend)

Die Richtung des Drehmomentvektors \(\vec{M}\) steht sowohl normal zu \(\vec{r}\) und als auch normal zu \(\vec{F}\). Um aus der Richtung des Drehmoment-Vektors die Wirkrichtung zu ermitteln, kannst du die Korkenzieherregel (Rechte-Faust-Regel) (engl. right-hand screw rule) verwenden: Lege deine rechte Hand so um den Drehmoment-Vektor, dass der Daumen in dieselbe Richtung wie der Vektor zeigt. Die Richtung der restlichen Finger zeigt dir die Drehrichtung (Bild 7.16).

Rechte Hand Regel um die Wirkrichtung des Drehmoments zu bestimmen.

Bild 7.16: Rechte Hand Regel um die Wirkrichtung des Drehmoments zu bestimmen.

7.3.9 Getriebe

In Bild 7.17 siehst du zwei Rollen in engem Kontakt. Drehst du die linke Rolle (treibende Rolle), dann dreht sich die rechte Rolle (angetriebene Rolle) aufgrund der Reibung zwischen den Oberflächen mit.

Zwei Walzen in engem Kontakt

Bild 7.17: Zwei Walzen in engem Kontakt

In unserem Beispiel ist der Radius der angetriebenen Rolle doppelt so groß wie der Radius treibende Rolle. Daraus ergibt sich ein doppelt so großer Umfang. Die abgewälzten Teile an den Kreisumfängen sind immer gleich groß. Vollführt die kleine Rolle in unserem Beispiel eine halbe Drehung, macht die große Rolle nur eine Vierteldrehung. Am Berührungspunkt (Wälzpunkt) ist die Tangentialgeschwindigkeit für beide Walzen gleich groß, daher gilt:

\[ \left.\begin{aligned} v = \omega_1 \cdot r_1 \\[4pt] v = \omega_2 \cdot r_2 \end{aligned} \; \right\} \quad \Rightarrow \quad \omega_1 \cdot r_1 = \omega_2 \cdot r_2 \quad \Rightarrow \quad \boxed{\frac{r_1}{r_2}=\frac{\omega_2}{\omega_1}} \]

Die Winkelgeschwindigkeiten der beiden Rollen stehen also im umgekehrten Verhältnis zu den Radien.

Ebenso ist die Kraft im Berührungspunkt für beide Walzen gleich groß. Für die Drehmomente gilt daher:

\[ \left.\begin{aligned} M_1 = F\cdot r_1 \quad \Rightarrow \quad F = \frac{M_1}{r_1} \\[4pt] M_2 = F\cdot r_2 \quad \Rightarrow \quad F = \frac{M_2}{r_2} \end{aligned} \; \right\} \quad \Rightarrow \quad \boxed{\frac{r_1}{r_2} = \frac{M _1}{M_2}} \]

Die Größe der Drehmomente beider Walzen daher stehen im selben Verhältnis zueinander wie ihre Radien.

Jede mechanische Vorrichtung, die Drehzahl, Drehrichtung und Drehmoment wandelt, wird allgemein als Getriebe (engl. gear) bezeichnet. Nur das Verhältnis der beiden Radien entscheidet also über das Verhältnis von Drehgeschwindigkeit, Drehzahl und Drehmoment. Es wird daher als Übersetzung des Getriebes (engl. gear ratio) genannt. Unabhängig von dem Übersetzungsverhältnis ändert sich bei einer solchen Verbindung immer die Drehrichtung.

Das hier gezeigte Getriebe aus zwei Rollen (Wälzkörpergetriebe) wird in der Praxis selten verwendet, weil die Verbindung der beiden Rollen nur durch die Anpresskraft und der damit verbundenen Reibung aufrecht erhalten werden kann (kraftschlüssige Verbindung). Das verursacht einerseits eine große Belastung der Lager und andererseits steigt die Wahrscheinlichkeit des Durchrutschens (Schlupf) je größer das Drehmoment wird.

7.3.10 Zahnräder

Die häufigste Bauform eines Getriebes ist das Zahnradgetriebe. In Bild 7.18 siehst du ein einfaches Getriebe aus zwei ineinandergreifen Zahnrädern. Die Wandlung von Winkelgeschwindigkeit, Drehzahl und Drehmoment verhält sich wie beim Wälzkörpergetriebe. Die vergleichbaren Rollen sind im Bild noch als strichlierte Kreise zu erkennen (Wälzkreisradien).

Beispiel für ein Stirnradgetriebe

Bild 7.18: Beispiel für ein Stirnradgetriebe

Bei einem Zahnradgetriebe kannst du die Übersetzung am Verhältnis der Anzahl der Zähne erkennen:

\[ n_1:n_2 = 10:20 = 1:2 \]

Bei einer vollen Drehung des treibenden linken Zahnrads wurde das getriebene rechte Zahnrad erst eine halbe Drehung weitergedreht.

Formschlüssiges Eingreifen der Zahnradflanken

Bild 7.19: Formschlüssiges Eingreifen der Zahnradflanken

Vielleicht ist dir schon die besondere Form der Zähne aufgefallen. Sie garantiert, dass die eingreifenden Zähne am Berührungspunkt (Eingriffspunkt \(E\)) zu jeder Zeit dieselbe Tangente haben (Bild 7.19). Kraft (und Gegenkraft) stehen dabei immer normal auf die beide Oberflächen. Daher ist bei einem Zahnradgetriebe keine Reibung zwischen den Zahnrädern notwendig, um die Bewegung zu übertragen. Eine solche Verbindung wird formschlüssig genannt.

Die Form der Zähne sorgt außerdem dafür, dass die Anzahl der Zähne, die gerade Kontakt haben, immer kontant ist. In unserem Beispiel sind das immer exakt zwei Zähne.

Alle Zahnradprofile werden nach dem allgemeinen Verzahnungsgesetz konstruiert. Es besagt:

  1. Der Kraftvektor muss zu allen Zeiten entlang derselben Gerade (Wirklinie) verlaufen.
  2. Die Wirklinie muss durch den Wälzpunkt \(W\) verlaufen.

Die erste Bedingung garantiert – trotz ständig wanderndem Eingriffspunkt – ein konstantes Drehmoment, da sich die Wirkung einer Kraft nicht ändert, wenn sie entlang der Wirklinie verschoben wird. Die zweite Bedingung garantiert dasselbe Übersetzungsverhältnis wie bei den Rollen eines vergleichbaren Wälzgetriebes.

Auf diese Weise bewegen sich die beide Zahnräder schlupffrei bei konstantem Drehmoment, ungeachtet des ständig wandernden Eingriffspunktes oder des ständigen Kontaktwechsels der Zähne – eine konstruktive Meisterleistung!

Einen Nachteil gibt es allerdings: Im Gegensatz zu Rollen können Zahnräder nicht exakt aneinander abrollen. Vielmehr gleiten ihre Flanken am Eingriffspunkt geringfügig aufeinander ab (Wälzgleiten). Getriebe mit Zahnrädern werden daher geschmiert, um Reibungsverluste gering zu halten und eine Abnutzung bestmöglich zu verhindern.

Neben dem hier gezeigten Stirnradgetriebe gibt es noch weitere Übertragungsmöglichkeiten wie zum Beispiel das Zahnriemen- oder auch das Kettengetriebe, wie du es von deinem Fahrrad kennst.

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