11.10 Sammel- und Zerstreuungslinse
Die Eigenschaften von Sammel- (Bild 11.86) und Zerstreuungslinse bilden die Grundlage für alle einfachen optischen Instrumente, die du im nächsten Kapitel kennenlernen wirst.
11.10.1 Linsen
Unter einer optischen Linse ist ein Glaskörper mit einer gekrümmten Oberfläche auf einer oder beiden Seiten gemeint. Der Name kommt von der gleichnamigen Hülsenfrucht, deren Form ähnlich einer Sammellinse ist. Du kannst dir eine Linse aus abgestuften optischen Prismen aufgebaut denken (Bild 11.87).
Wie bei ebenen Oberflächen gilt auch bei gekrümmten Oberflächen das Brechungsgesetz. Das Lot steht jetzt jeweils normal auf die Tangentialfläche der gekrümmten Linsenoberfläche.
11.10.2 Dünne Linsen
In diesem Kapitel beschränken wir uns auf sogenannte dünne Linsen (engl. thin lenses). Darunter sind Linsen zu verstehen, deren Dicke \(d\) klein im Verhältnis zu den Krümmungsradien \(r\) ihrer brechenden Oberflächen ist (Bild 11.88).
Bei dünnen optischen Linsen sind die Eigenschaften besonders einfach. Eigentlich wird ein Lichtstrahl beim Durchgang einer Linse zweimal gebrochen – beim Ein- und beim Austritt. Bei dünnen Linsen kann diese doppelte Lichtbrechung durch eine einzige Lichtbrechung in der Mitte der Linse (der sogenannten Hauptebene) ersetzt werden (Bild 11.89) und die tatsächliche Dicke der Linse kann vernachlässigt werden.
Linsen, deren Dicke nicht vernachlässigt werden darf, werden manchmal als dicke Linsen bezeichnet. Hier wird der Strahlengang durch die Linse dann mit zwei Hauptebenen beschrieben.
11.10.3 Beschreibung einer Linse
Die Ebene, die eine symmetrische Linse in zwei gleiche Teile teilt, wird Hauptebene (engl. vertical Plane) der Linse genannt. Sie ist im Bild 11.90 als strichlierte Linie zu sehen.
Die waagrechte Symmetrieachse der Linse wird optische Achse (engl. principal axis) genannt.
Bei einer Sammellinse (engl. converging lens) werden parallel einfallende Strahlen in einem Brennpunkt (Fokus) \(F\) (engl. focal point) gesammelt. Die einfachste Bauform ist eine symmetrische bikonvexe Linse mit gleich großem Krümmungsradius auf beiden Seiten.
Eine Zerstreuungslinse (engl. diverging lens) fächert parallel einfallende Lichtstrahlen so auf, als kämen sie von einem gemeinsamen Zerstreuungspunkt \(F\), trotzdem ist auch hier die Bezeichnung Brennpunkt üblich. Die einfachste Bauform ist eine symmetrische bikonkave Linse mit gleich großem Krümmungsradius auf beiden Seiten.
Im Gegensatz zu Spiegeln können Linsen das Licht von beiden Seiten hindurchlassen. Entsprechend gibt es bei jeder Linse immer zwei Brennpunkte; jeweils links und rechts von der Hauptebene.
Der Abstand von Hauptebene zum Brennpunkt wird Brennweite \(f\) (engl. focal length) genannt.
Die Krümmungsmittelpunkte \(M\) spielen bei der Abbildung von Linsen keine wesentliche Rolle und werden nicht eingezeichnet. Manchmal sind allerdings die Punkte \(2F\), die sich in der jeweils doppelten Brennweite befinden, von Interesse.
11.10.4 Besondere Strahlen für dünne Linsen
So wie für die Bildkonstruktion bei sphärischen Spiegeln gibt es auch für Linsen einige Strahlen, die besonders einfach zu zeichnen sind – ohne dass vorher die Tangente oder das Lot konstruiert werden muss!
Mittelpunktstrahlen (engl. principal ray) verlaufen durch den Schnittpunkt von optischer Achse und Hauptebene. Sie werden nicht abgelenkt (weder geknickt noch verschoben; interaktives Bild 11.91, Grün).
Parallelstrahlen (engl. incident ray) verlaufen bei der Sammellinse parallel zur optischen Achse und werden an der Hauptebene in den gegenüber liegenden Brennpunkt gebrochen. Bei der Zerstreuungslinse divergieren die Strahlen nach der Linse, als würden sie aus dem nahen Brennpunkt (Zerstreuungspunkt) kommen (interaktives Bild 11.91, Orange).
Brennpunktstrahlen (oder Brennstrahlen) verlaufen bei der Sammellinse durch den nahen Brennpunkt und werden an der Hauptebene parallel zur optischen Achse gebrochen. Bei der Zerstreuungslinse wird ein Strahl, der zum gegenüber liegenden Brennpunkt (Zerstreuungspunkt) zielt, an der Hauptebene so gebrochen, dass er danach parallel verläuft (interaktives Bild 11.91, Rot).
11.10.5 Abbildungen mittels einer Sammellinse
Ähnlich dem sphärischen Sammelspiegel kommt es je nach Abstand von der Linse zu unterschiedliche Abbildungen (interaktives Bild 11.92).
Befindet sich der Gegenstand zwischen nahem Brennpunkt \(F\) und der Hauptebene – innerhalb der „einfachen Brennweite“ – entstehen divergente Strahlen und das Bild ist:
- virtuell
- aufrecht
- vergrößert
Das entspricht der Verwendung als Lupe!
Befindet sich der Gegenstand zwischen \(2F\) und nahem Brennpunkt \(F\) – zwischen einfacher und doppelter Brennweite – entstehen konvergente Strahlen und das Bild ist:
- reell
- verkehrt
- vergrößert
Befindet sich der Gegenstand in einer Entfernung größer als \(2\cdot f\), also außerhalb der doppelten Brennweite), entstehen ebenfalls konvergente Strahlen und das Bild ist:
- reell
- verkehrt
- verkleinert
Befindet sich der Gegenstand exakt im Brennpunkt \(F\), erhältst du kein Bild. Befindet sich der Gegenstand exakt in der doppelten Brennweite, sind Gegenstand und Bild gleich groß.
11.10.6 Abbildungen mittels einer Zerstreuungslinse
Wie ein sphärischer Zerstreuungsspiegel erzeugt auch die Zerstreuungslinse stets divergente Strahlenbündel (interaktives Bild 11.93).
Die Bilder sind immer:
- virtuell
- aufrecht
- verkleinert
11.10.7 Linsengleichung
Mithilfe der Linsengleichung kannst du die Eigenschaften des Bildes (Bildgröße \(B\) und Bildweite \(b\)) einer Sammel- oder einer Zerstreuungslinse berechnen.
Die Linsengleichung lautet (Bild 11.94):
\[\begin{equation} \frac{1}{g}+\frac{1}{b}=\frac{1}{f} \tag{11.4} \end{equation}\] |
Die Größen in dieser Gleichung sind:
- Brennweite \(f\) (Abstand von der Hauptebene zum Brennpunkt/Zerstreuungspunkt)
- Gegenstandsweite \(g\) (Abstand von der Hauptebene zum Gegenstand)
- Bildweite \(b\) (Abstand von der Hauptebene zum Bild)
Die Größe von Bild und Gegenstand hängen über die folgende Gleichung zusammen:
\[\begin{equation} m = \frac{B}{G} = \frac{b}{g} \tag{11.5} \end{equation}\]
Der Abbildungsmaßstab \(m\) ist das Verhältnis von Bildgröße \(B\) und Gegenstandsgröße \(G\). Diese stehen im selben Verhältnis wie die Bildweite \(b\) und die Gegenstandsweite \(g\). Ist der Abbildungsmaßstab größer als 1, kommt es zu einer Vergrößerung. Wenn \(m\) kleiner als 1 ist, wird das Bild kleiner als der Gegenstand.
Wichtig: Bei der Linsengleichung gelten folgende Vorzeichenvereinbarungen:
für ein aufrechtes Bild ist das Vorzeichen von \(B\) positiv, für ein verkehrtes Bild ist das Vorzeichen von \(B\) negativ.
für ein reelles Bild ist das Vorzeichen von \(b\) positiv, für ein virtuelles Bild ist das Vorzeichen von \(b\) negativ.
für eine Sammellinse ist das Vorzeichen der Brennweite \(f\) positiv, für eine Zerstreuungslinse ist das Vorzeichen der Brennweite \(f\) negativ.
Formst du die Linsengleichung so um, dass die Bildweite \(b\) eine Funktion der Gegenstandsweite \(g\) ergibt (\(b(g) = (f\cdot g) / (g - f)\)), erhältst du den Verlauf in Bild 11.95. Hier erkennst du das bekannte Abbildungsverhalten einer Sammellinse: Befindet sich der Gegenstand innerhalb der einfachen Brennweite, entsteht ein virtuelles Bild, außerhalb davon ein reelles Bild. Befindet sich der Gegenstand exakt im Brennpunkt, entsteht kein Bild.
11.10.8 Herleitung der Linsengleichung
Mithilfe von ähnlichen Dreiecken lässt sich die Linsengleichung herleiten. Für die Herleitung wählen wir die Abbildung einer Sammellinse in Bild 11.96
Wir beginnen mit den ähnlichen rechtwinkeligen Dreiecken \(\triangle PTS\) (rot) und \(\triangle P^\prime T^\prime S\) (blau), die beide den Winkel \(\alpha\) gemeinsam haben (Bild 11.97).
Das Längenverhältnis der einander entsprechenden Dreiecksseiten liefert uns den Abbildungsmaßstab:
\[ \frac{B}{G} = \frac{b}{g} \]
Als Nächstes betrachten wir die ebenfalls ähnlichen rechtwinkeligen Dreiecke \(\triangle USF\) (rot) und \(\triangle P^\prime T^\prime F\) (blau), die beide den Winkel \(\beta\) gemeinsam haben (Bild 11.98).
Der Abstand zwischen Bildfußpunkt und Brennpunkt ist \(b-f\) und somit ergibt sich das Verhältnis:
\[ \frac{B}{G} = \frac{b-f}{f} \]
In beiden Gleichungen haben wir das Verhältnis \(B/G\) und können daher die jeweils rechten Seiten gleich setzen:
\[ \begin{aligned} \frac{b}{g} = {} & \frac{b-f}{f} \\ \frac{b}{g} = {} & \frac{b}{f}-\frac{\cancel{f}}{\cancel{f}} \\ \frac{b}{g} = {} & \frac{b}{f} - 1 &&\Bigr\rvert\cdot \frac{1}{b}\\ \frac{\cancel{b}}{g\cdot \cancel{b}} = {} & \frac{\cancel{b}}{f\cdot\cancel{b}} - \frac{1}{b}\\ \frac{1}{g} = {} & \frac{1}{f} - \frac{1}{b} &&\Bigr\rvert+\frac{1}{b}\\ \frac{1}{g}+\frac{1}{b} = {} & \frac{1}{f}\\ \end{aligned} \]
Wir erhalten somit als Ergebnis die Linsengleichung.
11.10.9 Brechkraft von Linsen
Manchmal wird statt der Brennweite einer Linse ihre Brechkraft \(D\) (engl. optical power) angegeben. Sie ist definiert als der Kehrwert der Brennweite \(f\), also:
\[\begin{equation} D=\frac{1}{f} \tag{11.6} \end{equation}\]
Die Einheit der Brechkraft ist die Dioptrie:
\[ [D]=\frac{1}{[f]}=\frac{1}{1\;\mathrm{m}}=1\;\mathrm{dpt} \]
Vor allem bei der Stärke von Brillengläsern findest du diese Angabe häufig.
11.10.10 Schräge parallel einfallende Strahlen und die Brennebene
Parallel zur optischen Achse einfallende Strahlen werden bei der Sammellinse zum Brennpunkt der Linse gebrochen. Bei Zerstreuungslinsen werden sie so gebrochen, als kämen sie aus dem Brennpunkt der gegenüberliegenden Seite der Linse. In diesem Abschnitt untersuchen wir, wie sich ein paralleles Strahlenbündel verhält, das nicht in Richtung der optischen Achse auf die Linse trifft (Bild 11.99).
Bei einer Sammellinse konvergieren diese Strahlen nicht im Brennpunkt. Stattdessen treffen sich die Lichtstrahlen auf einer Ebene, die durch den Brennpunkt verläuft und normal auf die optische Achse steht. Diese Ebene wird als Brennebene (engl. focal plane) bezeichnet. Ähnliches gilt für die Zerstreuungslinse, bei der die gebrochenen Lichtstrahlen so durch die Linse treten, als kämen sie von einem gemeinsamen Punkt auf der Brennebene der gegenüberliegenden Seite der Linse.
11.10.11 Abbildungsfehler optischer Linsen
Die sphärische Aberration tritt nicht nur bei sphärischen Spiegeln, sondern auch bei Linsen auf. Auch hier treffen einander achsenferne Parallelstrahlen nicht mehr im Brennpunkt (Bild 11.100).
Da der Brechungsindex von der Wellenlänge abhängig ist, kommt es bei Linsen auch zu einer chromatischen Aberration (engl. chromatic aberration) – einem Abbildungsfehler, den es bei Spiegeln nicht gibt. Dabei werden die farbigen Lichtanteile nicht auf den gleichen Punkt fokussiert (Bild 11.101).
Beide Abbildungsfehler lassen sich durch gleichzeitige Verwendung mehrerer Linsen verbessern.
11.10.12 Fresnel-Linse
Große Linsen aus Glas sind schwer und lassen sich nur aufwendig herstellen. Bei der nach Augustin Jean Fresnel benannten Fresnel-Linse (engl. Fresnel lens) wird die für die Lichtbrechung verantwortliche Oberfläche der Linse erhalten und der mittlere Teil entfernt. Das spart Material und Gewicht, erhält aber die Brechkraft (Bild 11.102).
Da das Ringmuster in der Abbildung zu sehen ist, eignet sich die Fresnel-Linse für Anwendungen, bei denen es mehr um die Bündelung von Licht als auf die Qualität der Abbildung ankommt, wie die Optik von Leuchttürmen, Overheadprojektor oder einfachen Lupen.