8.3 Schwingungsgesetze
Durch den Vergleich einer gleichförmigen Rotation und einer harmonischen Schwingung können wir unser Wissen aus dem Kapitel Rotation auf die Schwingungslehre übertragen, um das zeitliche Verhalten von Ort (Elongation), Geschwindigkeit und Beschleunigung eines harmonischen Oszillators zu beschreiben.
8.3.1 Schattenschwingung
Wenn du auf einer gleichförmig rotierenden Kreisscheibe einen Nagel einschlägst und die Bewegung seines Schattens (Schattenschwingung), mit der eines Federpendels vergleichst, wirst du feststellen, dass beide dieselbe Bewegung ausführen (interaktives Bild 8.9).
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8.3.2 Elongation einer harmonischen Schwingung
Das Kennzeichen einer harmonischen Schwingung (8.1.4 ist ja gerade ein sinus- bzw. kosinusförmiges Orts-Zeit-Diagramm. Entsprechend lautet die Funktion für den zeitlichen Verlauf der Elongation \(y(t)\)
\[\begin{equation} y(t) = A\cdot\sin(\omega\cdot t) \tag{8.2} \end{equation}\] |
In dieser Formel steht \(A\) für die Amplitude der Schwingung (siehe Begriffe aus der Schwingungslehre) und \(\omega\) für die Kreisfrequenz der Schwingung (siehe Kreisfrequenz).
8.3.3 Herleitung der Elongation einer harmonischen Schwingung
Die Elongation \(y\) (momentane Auslenkung) des Schattenpunktes \(P\prime\) erkennst du als Projektion des Radiusvektors \(r\) auf dem Schirm (Bild 8.10).
Die Länge \(y\) findest du auch in dem rechtwinkeligen (schwarzen) Dreieck. Dort ist \(y\) die Gegenkathete zum Winkel \(\varphi\) und der Hypotenuse \(r\). Daraus folgt, dass der zeitliche Verlauf der Elongation eine Sinus-Funktion ist.
\[ y(t) = r\cdot\sin(\varphi) \]
Für den Drehwinkel \(\varphi\) gilt bei einer gleichförmigen Rotation der Zusammenhang:
\[ \varphi = \omega\cdot t \]
Wobei \(\omega\) die Winkelgeschwindigkeit und \(t\) die verstrichene Zeit ist.
\[ y(t) = r\cdot\sin(\omega\cdot t) \]
Die maximale Elongation \(y=r\) entsteht, wenn \(\varphi\) zu einem rechten Winkel wird. Der Radius \(r\) der Kreisscheibe entspricht daher der Amplitude \(A\) der Schattenschwingung.
\[ y(t) = A\cdot\sin(\omega\cdot t) \]
8.3.4 Geschwindigkeit einer Schattenschwingung
Erreicht die Auslenkung eines Oszillators ihr Maximum am Umkehrpunkt, ist die Geschwindigkeit null. Passiert der Oszillator die Gleichgewichtslage, ist die Geschwindigkeit maximal und die Elongation null. Entsprechend sind Geschwindigkeit und Elongation eine Viertelperiode zeitversetzt. Folgt die Elongation eines harmonischen Oszillators einer Sinus-Funktion, folgt seine Geschwindigkeit einer Kosinus-Funktion. Sie lautet:
\[\begin{equation} v_y(t)= \omega\cdot A\cdot\cos(\omega\cdot t) \tag{8.3} \end{equation}\] |
Die maximale Geschwindigkeit ist \(\omega\cdot A\). Sie hängt von Kreisfrequenz und Amplitude ab. Die Geschwindigkeit wiederholt sich in derselben Zeit wie die Elongation.
8.3.5 Herleitung der Geschwindigkeit einer Schattenschwingung
Die Geschwindigkeit des Punktes \(P\) auf der Kreisscheibe ist die Tangentialgeschwindigkeit \(v\). Für sie gilt:
\[ v=r\cdot \omega \]
Der Geschwindigkeitsvektor \(v_{P^\prime}\) des Schattenpunkts (Bild 8.11) ist die Projektion des Geschwindigkeitsvektors \(v_{P}\) auf dem Schirm.
Das schwarze und das rote rechtwinkelige Dreieck sind ähnlich. Daher finden wir den Winkel \(\varphi\) im roten Dreieck im Eckpunkt \(P\) wieder. Die gesuchte Länge entspricht der Ankathete im roten Dreieck. Der zeitliche Verlauf der Geschwindigkeit des Schattenpunkts entspricht somit einer Kosinus-Funktion.
\[ \begin{aligned} v_y(t)= {} & v_t\cdot\cos(\varphi) \\ v_y(t)= {} & \omega\cdot r\cdot\cos(\varphi) \\ v_y(t)= {} & \omega\cdot A\cdot\cos(\omega\cdot t) \\ \end{aligned} \]
8.3.6 Beschleunigung einer Schattenschwingung
An den Umkehrpunkten der Bewegung eines Oszillators ist die Elongation und auch die rücktreibende Kraft und – somit auch die Beschleunigung – am größten. Passiert der Oszillator die Gleichgewichtslage, ist seine Elongation null. In diesem Punkt muss auch die rücktreibende Kraft null sein, sonst wäre an dieser Stelle nicht die Ruhelage. Gibt es an dieser Stelle keine Kraft, dann muss auch die Beschleunigung null sein. Folgt die Elongation eines harmonischen Oszillators einer Sinus-Funktion, folgt dessen Beschleunigung ebenfalls einer Sinus-Funktion. Sie lautet:
\[\begin{equation} a_y(t) = -\omega^2\cdot A\cdot\sin(\omega\cdot t) \tag{8.4} \end{equation}\] |
Die maximale Beschleunigung ist \(\omega^2\cdot A\). Sie hängt von Kreisfrequenz und Amplitude ab. Die Beschleunigung wiederholt sich in derselben Zeit wie die Elongation. Das Minuszeichen in der Formel drückt aus, dass die Beschleunigung immer entgegen der Auslenkung gerichtet ist, also der Oszillator immer in Richtung der Gleichgewichtslage beschleunigt wird.
8.3.7 Herleitung der Beschleunigung einer Schattenschwingung
Der Punkt \(P\) auf der Kreisscheibe erfährt die Zentripetalbeschleunigung \(a_z\). Für sie gilt:
\[ a_z = \frac{v^2}{r} = \frac{(r\cdot \omega)^2}{r} = \frac{r^2\cdot \omega^2}{r} = r\cdot \omega^2 \]
Bildest du die Projektion dieses Beschleunigungsvektors auf dem Schirm, erhältst du den Beschleunigungsvektor des Schattenpunkts (Bild 8.12).
Bei dem schwarzen und dem blauen rechtwinkeligen Dreieck handelt es sich um ähnliche Dreiecke. Die gesuchte Länge \(a_{P^\prime}\) erkennst du als Gegenkathete im blauen Dreieck. Der zeitliche Verlauf der Beschleunigung des Schattenpunkts entspricht daher wieder einer Sinus-Funktion.
\[ \begin{aligned} a_y(t)= {} & -a_z \cdot\sin(\varphi) \\ a_y(t)= {} & -\omega^2\cdot r\cdot\sin(\varphi) \\ a_y(t)= {} & -\omega^2\cdot A\cdot\sin(\omega\cdot t) \\ \end{aligned} \]
Woher kommt das Minus? Im Bild 8.12 kannst du sehen, dass der Beschleunigungsvektor nach unten zeigt. Durch das Voranstellen eines Minuszeichens wird die Richtung korrekt beschrieben.
8.3.8 Bewegungsgleichung eines harmonischen Oszillators
Siehst du dir die Gleichung für die Beschleunigung eines harmonischen Oszillators an, erkennst du, dass er den Ausdruck \(A\cdot\sin(\omega\cdot t)\) enthält.
\[ a_y(t) = -\omega^2\cdot A\cdot\sin(\omega\cdot t) \]
Das ist aber genau der Ausdruck für die Elongation eines harmonischen Oszillators:
\[ y(t) = A\cdot\sin(\omega\cdot t) \]
Somit können wir diesen Ausdruck durch die Elongation ersetzen und erhalten die Bewegungsgleichung eines harmonischen Oszillators:
Für jede harmonische Schwingung gilt: Die Beschleunigung \(a\) ist proportional zur Elongation \(y\). \[\begin{equation} a = -\omega^2\cdot y \tag{8.5} \end{equation}\] |
8.3.9 Kreisfrequenz
Die Größe \(\omega\), die in allen drei Schwingungsgesetzen
\[ \begin{aligned} y(t)= {} & \qquad\quad A\cdot\sin(\omega\cdot t) \\ v_y(t)= {} & \quad\; \omega\,\,\cdot A\cdot\cos(\omega\cdot t) \\ a_y(t)= {} & -\omega^2\cdot A\cdot\sin(\omega\cdot t) \\ \end{aligned} \]
vorkommt, hat in der Rotation die Bedeutung der Winkelgeschwindigkeit. In der Schwingungslehre heißt sie Kreisfrequenz (engl. angular frequency). Wie du aus dem Kapitel Drehbewegungen schon weißt, hängt sie mit den Größen Frequenz und Periodendauer in folgender Weise zusammen:
\[\begin{equation} \omega = \frac{2\pi}{T} = 2\pi f \tag{8.6} \end{equation}\] |
Dieser Zusammenhang gilt genauso auch in der Schwingungslehre.