13.12 Elektrische Energieversorgung
Sicher hast du schon einmal Freileitungen wie in Bild 13.147 gesehen.
In diesem Kapitel geht es um die Versorgung mit elektrischer Energie. Elektrische Energie ist die universellste Form von Energie. Sie lässt sich in fast alle anderen Energieformen umwandeln und am leichtesten transportieren. Auf der anderen Seite ist unsere Abhängigkeit von elektrischer Energie enorm. Oder kannst du dir ein modernes Leben ohne elektrischen Strom vorstellen?
13.12.1 Stromkrieg
Zu Beginn der Elektrifizierung gab es in den USA einen heftigen Streit zwischen Thomas Alva Edison und George Westinghouse, ob Gleich- oder Wechselspannung die bessere Technik für die großflächige Versorgung mit elektrischer Energie wäre. Diese Auseinandersetzung wurde teilweise mit sehr drastischen Mitteln geführt, sodass er sogar als „Stromkrieg“ (engl. war of the currents) bezeichnet wird.
Die elektrische Energieversorgung erfolgt heute auf der ganzen Welt mit Wechselstrom. Er ermöglicht elektrische Energie effizienter über große Entfernungen zu übertragen und mithilfe von Transformatoren die Spannung des Stromes anzupassen.
13.12.2 Stromerzeugung
Mit „Stromerzeugung“ ist die Gewinnung elektrischer Energie mithilfe von Kraftwerken gemeint. Jedes Kraftwerk (engl. power plant) wandelt nicht-elektrische Energie (Primärenergie) in elektrische Energie um. Hier einige Beispiele für Krafwerkstypen:
- Windkraftwerk; kinetische Energie von Wind
- Wasserkraftwerk; potenzielle oder kinetische Energie von Wasser
- Kohle- und Gaskraftwerk; Bindungsenergie von Molekülen (chemische Energie)
- Atomkraftwerk; Bindungsenergie von Atomkernen (Kernenergie)
- Sonnenwärmekraftwerk; Strahlungsenergie der Sonne
- Geothermiekraftwerk; thermische Energie der Erde
- Wellenkraftwerk; kinetische Energie der Meereswellen
Je nach Primärenergie kommt es bei der Umwandlung in elektrische Energie zu unterschiedlichen Verlusten. Der Wirkungsgrad eines Kraftwerkes gibt das Verhältnis von gewonnener elektrischer Energie zu hineingesteckter Primärenergie an. Kernkraftwerke erreichen einen Wirkungsgrad von nur rund 35 %, während der von Wasserkraftwerken bei rund 90 % liegt. Der Wirkungsgrad ist aber nicht das alleinige Auswahlkriterium für einen bestimmten Kraftwerkstyp. Viele andere Aspekte wie etwa Verfügbarkeit der Primärenergie, Baukosten, Betriebskosten, Entsorgungskosten, Gefahrenpotenzial oder geologische Voraussetzungen sind ebenfalls zu berücksichtigen.
Die Anteile der einzelnen Energieträger an der gesamten Energiewirtschaft eines Staates wird als Energiemix bezeichnet.
In Zukunft soll es auch möglich werden, dass private Haushalte den Überschuss ihrer Stromerzeugung, zum Beispiel durch Solaranlagen, in das öffentliche Stromnetz einspeisen können.
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13.12.3 Sternpunkt
Jedes Kraftwerk erzeugt 3-Phasen Wechselstrom mit Drehstromgeneratoren. Eigentlich müsste für jede der drei Spannungen ein hin- und rückführendes Kabel für die Weiterleitung verwendet werden. Das wären insgesamt sechs Leitungen.
Bei der Schattenschwingung haben wir eine Schwingung als Schattenwurf eines Punktes einer rotierenden Kreisscheibe betrachtet. In Bild 13.150 siehst du die drei Wechselspannungen ebenfalls als Schattenwurf von drei um jeweils 120° versetzen gleichförmig rotierenden Pfeilen (Zeigerdiagramm). Die Vektorsumme aller drei Spannungspfeile liefert immer ein gleichseitiges Dreieck und ist damit zu allen Zeiten null. Werden die drei Leitungen zu einem Punkt verbunden (Sternpunkt, engl. neutral point) werden die Elektronen durch die Spannungen in den drei Leitern herumgeschoben, ohne dass es dabei an irgendeiner Stelle zu einem „Elektronenstau“ kommt (siehe Animation 13.151). Gleiches gilt für die mit den Außenleitern verbundenen Verbraucher auf der rechten Seite, die ebenfalls in einem Sternpunkt verbunden sind.
Mithilfe des Drei-Phasen-Wechselstroms werden für die Übertragung von elektrischer Energie nur die drei Außenleitern (mit \(L_1\), \(L_2\), \(L_3\) oder \(R\), \(S\), \(T\) bezeichnet) benötigt. Der Idealfall eines spannungslosen Sternpunkts tritt allerdings nur dann ein, wenn alle drei Außenleiter gleich belastet sind (gleich große Verbraucher enthalten). Das dies fast nie der Fall ist, wird der Sternpunkt sowohl beim Erzeuger als auch beim Verbraucher mit der Erde verbunden, um diese Schwankungen auszugleichen.
13.12.4 Transport von elektrischer Energie
Auch der beste Leiter hat einen elektrischen Widerstand. Fließt Strom durch einen Leiter, wird immer elektrische Energie in Wärme umgewandelt. Dieser Verlust im Leiter steigt mit der zweiten Potenz der Stromstärke. Da die elektrische Leistung das Produkt aus Stromstärke und Spannung ist, bleibt die Leistung gleich, auch wenn wir die Spannung erhöhen und dafür die Stromstärke senken. Um die Stromstärke bei der Übertragung möglichst gering zu halten, wird elektrische Energie bei uns mit einer Höchstspannung von \(380{.}000\;\mathrm{V}\) über große Strecken übertragen.
In Bild 13.152 siehst du den Querschnitt einer Hochspannungsleitung. Der Stahlkern dient hauptsächlich der Festigkeit und Aluminium wird wegen seiner guten Leitfähigkeit gewählt. Es gibt zwar Materialien mit noch besserer Leitfähigkeit, wie etwa Gold. Das wäre aber als Leitungsmaterial viel zu teuer. Rechts im Bild siehst du eine moderne Hochspannungsleitung mit Kunststoff als Trägermaterial. Kunststoff hat eine geringere thermische Ausdehnung als Stahl. Damit ist weniger Durchhang notwendig und es kann Material gespart werden.
Hochspannungsmasten sind deshalb so hoch, damit bei so hohen Spannungen eine Entladung zur Erde verhindert wird. Neben den Außenleitungen (\(L_1\), \(L_2\), \(L_3\)) befindet sich ganz oben auf Freileitungen ein Leiter, der mit der Erde verbunden ist (Bild 13.153). Bei Gewitter schlägt der Blitz am ehesten in dieses Kabel ein und der Blitzstrom wird zur Erde abgeleitet. So wird ein Blitzeinschlag in eine der restlichen Leitungen unwahrscheinlicher. Hochspannungsleitungen lassen sich prinzipiell auch unter der Erde verlegen. Die Verlegung und Wartung der Leitungen unter der Erde ist allerdings sehr teuer.
Bei hoher Luftfeuchtigkeit kannst du in der Nähe von Hochspannungsleitung ein Geräusch hören. Die Luftfeuchtigkeit erhöht die Leitfähigkeit der Luft in der Umgebung der Hochspannungsleitung. Für eine Funkenentladung zwischen den Leitern ist der Abstand zwar zu groß, aber es kommt zu kleinen Koronaentladungen, die du als Knistern hörst.
13.12.5 Netzfrequenz
Die Frequenz der Wechselspannung im öffentlichen Stromnetz wird Netzfrequenz (engl. utility frequency) genannt. Sie beträgt in Europa \(50\;\mathrm{Hz}\), ist weltweit aber nicht einheitlich. In Nordamerika beträgt die Netzfrequenz beispielsweise \(60\;\mathrm{Hz}\) und in Japan gibt es sogar beide Netzfrequenzen!
Dass die Netzfrequenz genau \(50\;\mathrm{Hz}\) beträgt, hat keinen technischen Grund. Am Beginn der Elektrifizierung um 1900 hat sich eine Frequenz dieser Größenordnung für den Betrieb von Induktionsmotoren als praktisch erwiesen. Die Netzfrequenz macht sich zum Beispiel bei Leuchtstoffröhren bemerkbar. Das durch die Netzfrequenz 100 Mal pro Sekunde flackernde Licht ist für unsere Augen nicht direkt erkennbar. Filmst du mit deinem Smartphone im Zeitlupen-Modus, siehst du die Helligkeitsschwankungen auf der Aufnahme ganz deutlich.
Bei Transformatorenstationen (Bild 13.154) kannst du die \(50\;\mathrm{Hz}\) als tiefes Brummen hören.
13.12.6 Stromnetz
Für die Übertragung elektrischer Energie über große Strecken sind hohe Spannungen sinnvoll. Auf der anderen Seite werden Geräte im Haushalt aus Sicherheitsgründen und um den Aufbau der Geräte einfach zu halten nur mit einer Spannung von \(230\;\mathrm{V}\) betrieben. Um das zu erreichen, besteht unser Stromnetz aus mehreren Spannungsebenen (engl. voltage levels). In Bild 13.155 siehst du den vereinfachten Aufbau eines Stromnetzes.
Unser Stromnetz besteht aus vier Netzebenen:
Entfernte Kraftwerke transformieren die elektrische Energie auf Höchstspannung (\(220\;\mathrm{kV}\), \(380\;\mathrm{kV}\)). Damit wird elektrische Energie über große Entfernungen transportiert (Übertragungsnetz).
In der Nähe von Städten wird auf Hochspannung (\(110\;\mathrm{kV}\)) transformiert und elektrische Energie weiter verteilt (Überregionale Verteilernetze).
Die Versorgung von Ortschaften und Städten erfolgt dann über Mittelspannung (\(1-50\;\mathrm{kV}\), Regionale Verteilernetze).
In der Nähe deiner Ortschaft oder in deinem Bezirk erfolgt die Transformation auf Niederspannung (\(230\;\mathrm{V}\), \(400\;\mathrm{V}\)), die du dann bei deiner Steckdose zu Hause vorfindest (Lokale Verteilernetze).
13.12.7 Europäischer Stromverbund
Mehrere Länder betreiben ein gemeinsames Stromnetz (Stromverbund). Wir sind Teil des zentraleuropäischen Verbundnetzes UCTE (Union for the Co-ordination of Transmission of Electricity, Bild 13.156).
Jedes Verbundsystem hat eine einheitliche Netzfrequenz und Phasenlage. Dadurch können Kraftwerke und Umspannwerke direkt elektrisch zusammengeschaltet werden. Der Verbund erhöht die Ausfallsicherheit des gesamten Stromnetzes. Muss ein Kraftwerk wegen einer Überprüfung oder einer Reparatur abgeschaltet werden, kann ein Kraftwerk aus einem der Nachbarländer aushelfen.
13.12.8 Steuerung des Stromnetzes
Große Mengen elektrische Energie lassen sich nicht vernünftig speichern. Elektrische Energie muss also in dem Moment erzeugt werden, in dem sie auch „verbraucht“ wird.
Daher muss der Stromverbrauch ständig überwacht werden (Bild 13.157). Steigt er, müssen die Leistung von laufenden Kraftwerken erhöht oder weitere hinzugeschaltet werden. Sinkt der Verbrauch, muss die Leistung von Kraftwerken gedrosselt oder Kraftwerke sogar abgeschaltet werden. Entspricht das Angebot an elektrischer Energie nicht der Nachfrage, kommt es zum Zusammenbruch der Stromversorgung (Blackout).
Die Steuerung der Kraftwerke sowie die Aus- und Einfuhr von elektrischer Energie aus den Nachbarstaaten übernimmt in Österreich die Austrian Power Grid (APG) und in der Schweiz Swissgrid. In Deutschland gibt es sogar vier Übertragungsnetzbetreiber: 50Hertz Transmission GmbH, TenneT TSO, TransnetBW GmbH und Amprion GmbH.