17.8 EPR Paradoxon

In Bild 17.75 siehst du Nobelpreisträger Anton Zeilinger. Ihm gelang es zum ersten Mal etwas zu beamen. Allerdings funktioniert das ein wenig anders als in den meisten Science-Fiction-Filmen gezeigt.

Anton Zeilinger hinter einem Quantenexperiment

Bild 17.75: Anton Zeilinger hinter einem Quantenexperiment

Was Quantenteleportation – so heißt das „Beamen“ in der Fachsprache – genau ist, ob die Quantenmechanik noch unvollständig ist und was Albert Einstein mit einer „spukhaften Fernwirkung“ gemeint hat, erfährst du in diesem Kapitel.

17.8.1 Photonen und Polarisator

Licht besitzt eine Eigenschaft, die Polarisation heißt. Die Polarisation entspricht anschaulich der Schwingungsrichtung des Lichts. Betrachten wir Licht als Strom von Photonen, dann besitzt jedes einzelne Photon eine Polarisationsrichtung. In diesem Abschnitt gehen wir der Einfachheit halber davon aus, dass wir monochromatisches Licht mit lauter gleichartigen Photonen haben – daher mit derselben Frequenz und Energie \(E=h\cdot f\). Außerdem sollen alle Photonen senkrecht polarisiert sein.

Linear polarisierte Photonen treffen auf einen Polarisationsfilter

Bild 17.76: Linear polarisierte Photonen treffen auf einen Polarisationsfilter

Trifft linear polarisiertes Licht auf einen Polarisationsfilter mit derselben Polarisationsrichtung, kommt es zu keiner Abschwächung des Lichts – alle Photonen passieren den Filter. Steht der Polarisationsfilter normal auf die Polarisationsrichtung des Lichts, kommt überhaupt kein Licht durch den Filter – alle Photonen werden „geblockt“. Für jeden Winkel dazwischen wird ein Teil des linear polarisierten Lichts geblockt, der restliche Teil passiert den Filter (Bild 17.76). Beachte, dass alle Photonen, die den Filter passieren, die neue Richtung des Polarisationsfilters annehmen – sie haben ihre ursprüngliche Polarisationsrichtung „vergessen“! Die Intensität \(I\) des durchgehenden Lichts ist durch den Zusammenhang (Gesetz von Malus)

\[\begin{equation} I=I_0\cdot\cos^2(\theta) \tag{17.30} \end{equation}\]

beschrieben. Dabei ist \(I_0\) die Intensität des einfallenden Lichts und \(\theta\) der Winkel zwischen der Polarisationsrichtung des Lichts und der Orientierung des Filters. Die Intensität des Lichts ist proportional zur Energie des Lichts. Bei monochromatischem Licht trägt jedes Photon mit derselben Energie zur Intensität bei. Die Wahrscheinlichkeit \(p(\theta)\), dass ein Photon bei der Filterstellung \(\theta\) durch den Filter durchkommt, ist daher

\[\begin{equation} p(\theta)=\cos^2(\theta) \tag{17.31} \end{equation}\]

Gesetz von Malus

Bild 17.77: Gesetz von Malus

In Bild 17.77 siehst du den Zusammenhang zwischen Winkel und Wahrscheinlichkeit. In der folgenden Tabelle findest du die Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Winkel, die später noch von Bedeutung sein werden:

Winkel \(\theta\) Wahrscheinlichkeit \(p(\theta)\)
1 (\(100\,\%\), sicheres Ereignis)
30° 3/4 (\(75\,\%\))
45° 1/2 (\(50\,\%\))
60° 1/4 (\(25\,\%\))
90° 0 (\(0\,\%\), unmögliches Ereignis)

Ob die Photonen einzeln oder gleichzeitig auf den Polarisator treffen, spielt dabei keine Rolle.

17.8.2 Quantenverschränkung

Stell dir vor, ein Verbrecher-Pärchen verübt gemeinsam eine Straftat. Am nächsten Tag werden sie an unterschiedlichen Orten von der Polizei verhaftet und es werden ihnen in zwei getrennten Verhörräumen dieselben Fragen gestellt. Auf jede Frage der Polizisten erfinden beide eine Antwort, aber stets dieselbe! Beide haben keine Möglichkeit miteinander zu kommunizieren und es lässt sich auch zeigen, dass – und das ist das bemerkenswerte – beide die Antworten nicht zu einem früheren Zeitpunkt abgestimmt haben, sondern die Antworten wirklich spontan erfinden.

Dieses in der makroskopischen Welt unmögliche Verhalten können wir bei Quantenobjekten tatsächlich beobachten. Es wird Verschränkung (engl. quantum entanglement) genannt. Dabei können zwei (oder mehr) Quantenteilchen auf viel engere Weise miteinander zusammenhängen, als das nach der klassischen Physik möglich ist. Die Messung an einem Quantenobjekt ändert sofort den Zustand aller mit ihm verschränkten Quantenobjekte, unabhängig von der Entfernung, die zwischen ihnen liegt – also, auch wenn sie Lichtjahre voneinander getrennt sind!

In der Physik bezeichnet der Begriff Lokalität (engl. principle of locality) die Eigenschaft einer Theorie, dass Vorgänge nur unmittelbare Auswirkungen auf ihre direkte räumliche Umgebung haben. Die Quantenverschränkung ist daher eine nichtlokale Wechselwirkung.

Ein Beispiel von Quantenverschränkung ist die parametrische Fluoreszenz (engl. spontaneous parametric down-conversion). Dabei wird ein Laserstrahl auf einen Kristall mit bestimmten Eigenschaften gerichtet. Der Kristall macht aus einem einfallenden Photon zwei Photonen. Dabei gilt die Energieerhaltung – die Summe der Energien beider Photonen entspricht der Energie des ursprünglichen Photons. Aber: Keines der Photonen hat einen bestimmten Energiewert. Messen wir die Energie eines Photons, erhalten wir einen zufälligen Energiewert. In diesem Moment ist auch der Energiewert des verschränkten Zwillings mit der Differenz auf die Gesamtenergie fixiert.

Ein anderes Beispiel für verschränkbare Eigenschaften ist die Polarisation von Photonen. Entstehen zwei verschränkte Photonen – wie zum Beispiel dem Photonenpaar bei einer Annihilation – zeigt sich: Sobald die Polarisation bei einem der beiden Photonen (zum Beispiel durch Messung) festgelegt wird, nimmt das zweite Photon sofort dieselbe Polarisation an.

17.8.3 Quantenverschränkung und Polarisation

Um besser zu verstehen, was so besonders an dem Verhalten von verschränkten Quantenobjekten ist, wählen wir die Versuchsanordnung in Bild 17.78. Die Photonenquelle positionieren wir geringfügig näher an den Polarisationsfilter 1. Damit ist gewährleistet, dass das linke Photon immer zuerst den Filter erreicht und wir können leichter darüber sprechen. Die Winkelposition ist beliebig, aber für beide Polfilter zunächst immer gleich (\(\alpha=\beta\)).

Photonenquelle mit zwei Polarisationsfiltern in gleicher Winkelposition.

Bild 17.78: Photonenquelle mit zwei Polarisationsfiltern in gleicher Winkelposition.

Die Quelle erzeugt in regelmäßigen Abständen verschränkte Photonenpaare. Völlig zufällig kommt ein Photon durch den Filter 1 durch oder wird geblockt. Aber immer genau dann, wenn ein Photon den linken Polfilter passiert, passiert auch das verschränkte Photon den Polfilter auf der gegenüberliegenden Seite. Ist \(\alpha=\beta\), gilt immer: Entweder beide oder keines. Im Schnitt passieren die Hälfte aller verschränkten Photonenpaare beide Filter, die andere Hälfte der Photonenpaare passiert beide Filter nicht.

\[ \begin{aligned} F_1: = {} & \circ\circ\bullet\bullet\bullet\bullet\circ\circ\circ\bullet\bullet\circ\bullet\circ\bullet\circ\bullet\bullet\bullet\bullet\circ\circ\circ\bullet\bullet\circ\bullet\circ\circ\circ\ldots \\ F_2: = {} & \circ\circ\bullet\bullet\bullet\bullet\circ\circ\circ\bullet\bullet\circ\bullet\circ\bullet\circ\bullet\bullet\bullet\bullet\circ\circ\circ\bullet\bullet\circ\bullet\circ\circ\circ\ldots \\ \end{aligned} \]

Vielleicht denkst du jetzt, dass die verschränkten Photonen schon bei der Erzeugung die gleiche Polarisation erhalten haben. Das kann aber nicht sein, denn wenn die Polarisationsrichtung beider Photonen nicht \(100\,\%\) der Orientierung der Filter entspricht, haben beide Photonen nur eine voneinander unabhängige Wahrscheinlichkeit von \(p(\theta)=\cos^2(\theta)\) durchzukommen. Es kommen aber immer beide durch oder beide nicht durch – und das bei jeder Filterstellung.

Könnte es sein, dass die verschränkten Photonenpaare bei der Erzeugung von der Filterstellung wissen und entsprechend entstehen? Nein, denn wir können \(\alpha=\beta\) ändern, nachdem das verschränkte Photonenpaar erzeugt wurde und schon unterwegs ist – das verändert nichts am Ausgang des Experiments.

Wäre es denkbar, dass das linke Photon den Filter passiert (und damit die Stellung des Polfilters kennt) und dann diese Information an seinen verschränkten Partner schickt, damit dieser sich entsprechend für den Filter 2 vorbereitet? Nach der Relativitätstheorie kann Information maximal mit Lichtgeschwindigkeit übertragen werden. Befindet sich die Photonenquelle exakt zwischen den Filtern, müsste die Information instantan (also ohne Verzögerung) übermittelt werden – und das unabhängig von der Entfernung zwischen beiden Filtern!

Albert Einstein bezeichnete das Verhalten von verschränkten Quantenobjekten deshalb als „spukhafte Fernwirkung“ (engl. „spooky action at a distance“). Er, gemeinsam mit Boris Podolsky und Nathan Rosen haben auf diese paradoxe Vorhersage der Quantenmechanik in einem ihrer Artikel hingewiesen. Es wird daher auch Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon (oder kurz EPR-Paradoxon, engl. EPR paradox) genannt.

17.8.4 Verschränkte Photonen und gekreuzte Filter

Kommt das erste Photon durch den Polarisationsfilter, nimmt es die Orientierung dieses Filters an und die Orientierung des verschränkten Photons ist somit auf dieselbe Richtung festgelegt. Wie aber ist die Polarisationsrichtung des verschränken Zwillings, wenn das erste Photon geblockt wird?

Bei gleicher Winkelposition der Filter (\(\alpha=\beta\)) stellen wir fest: Wird das erste Photon geblockt, so wird auch immer das zweite Photon geblockt. Das ist aber nur möglich, wenn beide Photonen eine Polarisation von \(90^\circ\) zur Filterposition einnehmen, weil nur dann gilt:

\[\begin{equation} p(90^\circ)=\cos^2(90^\circ)=0 \tag{17.32} \end{equation}\]

Bei allen anderen Winkeln bestünde für das zweite Photon wieder eine von null verschiedene Wahrscheinlichkeit, den Filter zu passieren, obwohl das erste Photon geblockt wurde. Das lässt sich durch ein leicht geändertes Experiment zeigen: Wir verdrehen die beiden Polarisationsfilter so, dass ihre Orientierungen jetzt einen \(90^\circ\) Winkel zueinander bilden (Bild 17.79).

Photonenquelle mit zwei Polarisationsfiltern in gleicher Winkelposition.

Bild 17.79: Photonenquelle mit zwei Polarisationsfiltern in gleicher Winkelposition.

Jetzt kommt immer nur eines der beiden verschränkten Photonen durch einen der beiden Filter. Sie werden also nie gleichzeitig geblockt und auch nie gleichzeitig durchgelassen!

\[ \begin{aligned} F_1: = {} & \bullet\bullet\circ\bullet\circ\bullet\circ\circ\bullet\circ\bullet\bullet\bullet\bullet\circ\bullet\circ\circ\circ\circ\circ\circ\bullet\circ\circ\bullet\bullet\circ\bullet\bullet\ldots \\ F_2: = {} & \circ\circ\bullet\circ\bullet\circ\bullet\bullet\circ\bullet\circ\circ\circ\circ\bullet\circ\bullet\bullet\bullet\bullet\bullet\bullet\circ\bullet\bullet\circ\circ\bullet\circ\circ\ldots \\ \end{aligned} \]

17.8.5 Annahme lokaler verborgener Variablen

Für ein einzelnes Quantenereignis gibt es keine Ursache. Es passiert zufällig. Dass es für den Ausgang eines Quantenereignisses keine Kausalität im Sinne eines Ursache-Wirkungs-Prinzips gibt, konnte Albert Einstein nicht glauben. Er drückte das mit den Worten „Gott würfelt nicht.“ aus. Er war der Überzeugung, dass dieses seltsame Verhalten verschränkter Quantenobjekte nur eine Folge von bisher unbekannten Eigenschaften der Quantenobjekte ist. Diese lokalen verborgenen Variablen (engl. local hidden-variables) legen fest, wie sich das Quantenobjekt bei einer zukünftigen Messung verhält. Insgesamt wären diese Eigenschaften dann so verteilt, dass die an vielen Quantenobjekten durchgeführte Messung das statistische Verhalten der Quantenmechanik ergäbe.

Gäbe es diese lokalen verborgenen Variablen, dann würden die Wahrscheinlichkeitsaussagen der Quantenmechanik lediglich die Unkenntnis dieser Variablen ausdrücken. Das Modell der Quantenmechanik wäre dann noch unvollständig.

Im Abschnitt Bellsche Ungleichung und verschränkte Photonen wirst du sehen, dass sich die Quantenmechanik und die Annahme lokaler verborgener Variablen sogar widersprechen.

17.8.6 Bellsche Ungleichung

Die sogenannte Bellsche Ungleichung (engl. Bell’s theorem) (benannt nach John Stewart Bell) ist eine allgemeine Aussage über eine Menge von Objekten, die wohldefinierte Eigenschaften besitzen.

Als Beispiel stellen wir uns eine Gruppe von Personen vor. Wir gehen davon aus, dass wir jeder Person die folgenden Eigenschaften eindeutig zuordnen können:

  • ist volljährig, daher Erwachsen (engl. adult) oder nicht (kurz: \(a\) oder \(\neg a\))
  • hat Bulgarisch-Unterricht oder nicht (kurz: \(b\) oder \(\neg b\))
  • hat eine Cashewnuss-Allergie oder nicht (kurz: \(c\) oder \(\neg c\))

In Bild 17.80 siehst du die Eigenschaften in einem Mengendiagramm dargestellt. Der rechteckige Bereich entspricht jeweils der Menge aller Personen.

Mengendiagramm zur Bellschen Ungleichung

Bild 17.80: Mengendiagramm zur Bellschen Ungleichung

Außerdem legen wir folgende Bezeichnungen fest:

  • \(n(a,b)\) die Anzahl der volljährigen Personen mit Bulgarisch-Unterricht
  • \(n(a,c)\) die Anzahl der volljährigen Personen mit Cashewnuss-Allergie und
  • \(n(b,\neg c)\) die Anzahl der Personen mit Bulgarisch-Unterricht und keiner Cashewnuss-Allergie.

Die diesen Bezeichnungen entsprechenden Bereiche im Mengendiagramm siehst du in Bild 17.81

Bell-Ungleichung als Mengendiagramm

Bild 17.81: Bell-Ungleichung als Mengendiagramm

Da die zwei Teil-Flächen im Diagramm links als Teil-Fläche im mittleren und im rechten Bild vorkommen (schraffierte Bereiche), muss immer die folgende Ungleichung (Bellsche Ungleichung) gelten:

\[\begin{equation} n(a,b) \le n(a,c) + n(b,\neg c) \tag{17.33} \end{equation}\]

17.8.7 Ungleiche Polarisationsfilter-Orientierung

Im Abschnitt Quantenverschränkung hatten wir immer beliebige, aber gleiche Orientierung für beide Polfilter verwendet. Das Ergebnis war, dass bei rund der Hälfte aller verschränken Photonen immer beide und bei der anderen Hälfte immer beide nicht durchgekommen sind. Wählen wir für \(\alpha\) und \(\beta\) unterschiedliche Winkel (Bild 17.82), werden sich beide Photonen nicht mehr gleich verhalten und es gelten wieder Wahrscheinlichkeitsaussagen abhängig vom Differenzwinkel \(\theta=\alpha-\beta\).

Photonenquelle mit zwei Polarisationsfiltern ungleicher Orientierung

Bild 17.82: Photonenquelle mit zwei Polarisationsfiltern ungleicher Orientierung

Wir legen jetzt folgende Bezeichnungen fest:

  • \(p(\alpha,\beta)\): Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Photon bei dem linken Polarisator mit der Orientierung \(\alpha\) durchkommt und auch der verschränkte Zwilling bei dem rechten Polarisator mit der Orientierung \(\beta\) durchkommt

  • \(p(\alpha,\neg\beta)\): Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Photon bei dem linken Polarisator mit der Orientierung \(\alpha\) durchkommt und der verschränkte Zwilling bei dem rechten Polarisator mit der Orientierung \(\beta\) geblockt wird

Wahrscheinlichkeit, dass beide Photonen durchkommen

Nehmen wir an, das linke Photon erreicht als Erstes den Polarisator und kommt mit der Wahrscheinlichkeit \(p_0\) durch. Dann ist die Polarisationsrichtung für beide Photonen fixiert und auf den Winkel \(\alpha\) (=Orientierung des Filters 1) festgelegt. Für \(p(\alpha,\beta)\), der Wahrscheinlichkeit, dass beide Photonen durchkommen, gilt dann

\[\begin{equation} p(\alpha,\beta) = p_0\cdot\cos^2(\alpha-\beta) \tag{17.34} \end{equation}\]

Zur Veranschaulichung wenden wir diese Formel auf den Fall eines Differenzwinkels von \(90^\circ\) an. Wir erhalten zum Beispiel:

\[ p(120^\circ,30^\circ) = p_0\cdot\cos^2(120^\circ-30^\circ) = p_0\cdot\cos^2(90^\circ) = 0 \]

In diesem Fall gelangen also nie beide verschränkten Photonen durch die Filter, in Übereinstimmung mit dem, was wir über das Verhalten von verschränkten Photonen bei gekreuzten Filtern schon wissen.

Wahrscheinlichkeit, dass das linke Photon durchkommt, aber das rechte nicht

Ebenso können wir \(p(\alpha,\neg\beta)\) die Wahrscheinlichkeit, dass das linke Photon durchkommt, aber das rechte geblockt wird, angeben. Es ist die Differenz aus \(p_0\) („linkes Photon passiert Filter“) und \(p(\alpha,\beta)\) („linkes Photon und rechtes Photon passiert Filter“), also

\[ \begin{aligned} p(\alpha,\neg\beta) = {} & p_0-p(\alpha,\beta) \\ = {} & p_0-p_0\cdot\cos^2(\alpha-\beta) \\ = {} & p_0\cdot\left(1-\cos^2(\alpha-\beta)\right) \\ \end{aligned} \]

und unter Verwendung von \(\sin(x)^2+\cos^2(x)=1\) („trigonometrischer Pythagoras“ (B.16)) erhalten wir

\[\begin{equation} p(\alpha,\neg\beta) = p_0\cdot\sin^2(\alpha-\beta) \tag{17.35} \end{equation}\]

Zur Veranschaulichung wenden wir auch diese Formel auf den Fall eines Differenzwinkels von \(90^\circ\) an. Zum Beispiel erhalten wir für

\[ p(120^\circ,30^\circ) = p_0\cdot\sin^2(120^\circ-30^\circ) = p_0\cdot\sin^2(90^\circ) = 1 \]

Kommt das erste Photon durch den Filter, wird sein verschränkter Zwilling beim gekreuzten Filter immer geblockt. Auch das haben wir bei gekreuzten Filtern schon festgestellt.

17.8.8 Bellsche Ungleichung und verschränkte Photonen

Gibt es tatsächlich lokale verborgene Variablen bei verschränkten Photonenpaaren, so muss für jedes beliebige Tripel \(\alpha, \beta, \gamma\) von Orientierungswinkeln die folgende Bellsche Ungleichung für verschränkte Photonenpaare gelten:

\[ n(\alpha, \beta) \le n(\alpha,\gamma) + n(\beta,\neg \gamma) \]

Setzen wir die vorausgesagten Wahrscheinlichkeiten der Quantenmechanik ein, erhalten wir

\[ \cos^2(\alpha-\beta) \le \cos^2(\alpha-\gamma) + \sin^2(\beta-\gamma) \]

Es lässt sich leicht ein Tripel von drei Winkeln finden, das für diese Gleichung eine falsche Aussage liefert. Wählen wir zum Beispiel \(\alpha=60^\circ\), \(\beta=30^\circ\) und \(\gamma=0^\circ\), erhalten wir

\[ \begin{aligned} \cos^2(60^\circ-30^\circ) \le {} & \cos^2(60^\circ-0^\circ) + \sin^2(30^\circ-0^\circ) \\ \cos^2(30^\circ) \le {} & \cos^2(60^\circ) + \sin^2(30^\circ) \\ \frac{3}{4} \le {} & \frac{1}{4} + \frac{1}{4} \\ \end{aligned} \]

Die Bellsche Ungleichung ist hier also nicht erfüllt. Die Quantenmechanik und die Existenz von lokalen verborgenen Variablen widersprechen einander.

In Realexperimenten (wie zum Beispiel in den frühen 1980er-Jahren von Nobelpreisträger Alain Aspect durchgeführt), werden in drei unabhängigen Versuchsdurchgängen, mit den Kombinationen aus Filterstellungen \((F_1=60^\circ,F_2=30^\circ)\), \((F_1=60^\circ,F_2=0^\circ)\) und \((F_1=30^\circ,F_2=0^\circ)\), die Photonen gezählt und die Wahrscheinlichkeiten bestimmt. Mittlerweile wurden zahlreiche derartige Experimente (engl. Bell tests) durchgeführt. Bei allen zeigt sich, dass die Voraussagen der Quantenphysik korrekt sind – die Bellsche Ungleichung gilt nicht für Quantenobjekte.

Die Annahme, Photonen hätten irgendwelche Eigenschaften („lokale verborgene Variablen“), die ihre Polarisation festlegen, bevor sie gemessen werden, ist falsch. Es scheint, als wäre die statistische Beschreibung von Quantenobjekten die bestmögliche Beschreibung des Mikrokosmos – es gibt keinen „inneren Mechanismus“ dahinter zu entdecken.

17.8.9 Verzugsfreie Kommunikation?

Wenn sich durch Messung eines Photons die Polarisation des verschränkten Zwillings – unabhängig von der Entfernung – sofort überträgt, kann dieser Mechanismus vielleicht zur verzugsfreien Übertragung von Nachrichten genutzt werden?

Nehmen wir an, die Person (Alice), die eine Nachricht übermitteln will, befindet sich bei Filter 1 (links). Da jedes Photon zuerst diesen Filter passiert, hat die Orientierung des Polarisationsfilters einen Einfluss auf die Polarisation des verschränkten Zwillings. Die Person (Bob), die diese Nachricht empfangen soll, befindet sich bei Filter 2 (rechts).

Es ist zwar richtig, dass für fast alle Winkeleinstellungen die Messergebnisse von Alice und die Messergebnisse von Bob (stochastisch) abhängig sind – die Messergebnisse sind korreliert. Aber damit diese Korrelation zu sehen ist, müssen Alice und Bob ihre Aufzeichnungen von den empfangenen Photonen und deren Zeitpunkten miteinander vergleichen. Ohne diesen Vergleich erhalten beide nur ein zufälliges Muster. Diese Aufzeichnungen können nur über einen klassischen Kommunikationskanal (zum Beispiel per Funktechnik, also maximal mit Lichtgeschwindigkeit) ausgetauscht werden.

Auch wenn durch Quantenverschränkung Zustände schneller als mit Lichtgeschwindigkeit übertragen werden können, gibt es keine Möglichkeit, damit eine Nachricht zu übertragen, die von einem Empfänger ohne weitere Information verstanden werden kann (No-Communication-Theorem). Verzugsfreie Kommunikation ist auch durch Quantenverschränkung nicht möglich. Die größte mögliche Geschwindigkeit für Informationsübertragung ist die Lichtgeschwindigkeit.

17.8.10 Quantenteleportation

Bei der Quantenteleportation (engl. quantum teleportation) wird der Zustand eines Systems (Quelle, Sender, Alice oder A), auf ein anderes System (Ziel, Empfänger, Bob oder B) übertragen.

Prinzip der Quantenteleportation

Bild 17.83: Prinzip der Quantenteleportation

In Bild 17.83 siehst du das Prinzip der Quantenteleportation. Zunächst wird ein verschränktes Photonenpaar erzeugt. Eines davon wird mit dem Original-Photon, dessen Zustand teleportiert werden soll, beim Sender (A) überlagert. Bei der Überlagerung passieren zwei Dinge:

  1. Das Original-Photon verliert bei der Überlagerung seinen Zustand, weil die Regeln die Quantenwelt keine Vervielfältigung von Zuständen erlaubt (No-Cloning-Theorem). Das Original-Photon wird nicht mehr benötigt.

  2. das verschränkte Photon ändert seinen Quantenzustand (ohne den Zustand des Originals zu besitzen!). In diesem Moment nimmt auch das zweite verschränkte Photon, das gerade unterwegs zum Empfänger ist, denselben quantenmechanischen Zustand wie sein Zwilling ein.

Der Sender nimmt nach der Überlagerung eine Messung an seinem verschränkten Photon vor. Das Ergebnis dieser Messung muss den Empfänger über einen zweiten, klassischen Kanal (Funk, Telefon,…) rechtzeitig vor Eintreffen des verschränkten Photons erreichen. Diese Information dient dem Empfänger (B), sein Messgerät passend einzustellen. Durchläuft das verschränkte Photon das passend eingestellte Messgerät, besitzt es danach denselben Zustand wie das Original-Photon. Durch die Notwendigkeit des klassischen Kanals kann die Geschwindigkeit der Teleportation nicht schneller als die Lichtgeschwindigkeit sein.

Als Teleportation wird die hypothetische Übertragung von Materie oder Energie zwischen zwei Raumpunkten, ohne den physikalischen Raum zwischen ihnen zu durchqueren, bezeichnet. Die Quantenteleportation ist daher keine Teleportation im eigentlichen Sinn des Wortes, da sowohl das verschränkte Photonenpaar (über den Quantenkanal) als auch das Messergebnis (über den klassischen Kanal) normal übertragen werden. Auch stellt die Quantenteleportation keine Vorstufe für das „Beamen“ dar, also der hypothetischen Übertragung eines Gegenstandes in Form von Strahlung. Die praktische Bedeutung der Quantenteleportation liegt vielmehr darin, Quantenzustände zu übertragen, ohne sie dabei durch einen Messvorgang gleichzeitig zu verändern oder zu zerstören. Sie stellt die Grundlage für die Übertragung, Speicherung und Verarbeitung von Information in einem Quantencomputer dar.

17.8.11 Quantenkryptografie

Damit zwei Personen (Alice und Bob) verschlüsselte Nachrichten austauschen können, benötigen sie zuerst einen gemeinsamen Schlüssel. Also eine geheime Zeichenfolge, mit der sie zukünftig ihre Nachrichten ver- und entschlüsseln können. Der sicherste Weg wäre, sich persönlich zu treffen und den gemeinsamen Schlüssel zu vereinbaren (Bild 17.84). Das ist in den meisten Fällen aber nicht möglich. Sobald der Schlüssel aber auf irgendeinem Kommunikationsweg übermittelt wird, besteht immer auch die Gefahr, dass eine dritte Person davon erfährt (Schlüsselverteilungsproblem).

Schlüsseltausch

Bild 17.84: Schlüsseltausch

Quantenverschränkung bietet eine sehr elegante Möglichkeit, abhörsicher einen solchen Schlüssel zu vereinbaren. Dazu verwenden Alice und Bob zum Beispiel eine Anordnung aus zwei Polarisationsfiltern und in der Mitte eine Quelle, die verschränkte Photonen erzeugt. Stellen beide ihre Filter auf dieselbe Orientierung und beginnen die Messung zur selben Zeit, erhalten beide eine zufällige, aber identische Abfolge von „0“ und „1“, die sie als Schlüssel verwenden können. Sie können sich dabei sicher sein, dass keine weitere Person diese Abfolge erfährt, denn jeder Versuch, die Photonen zu messen, würde die Korrelation der Messungen von Alice und Bob zerstören (No-Cloning-Theorem). Die Entschlüsselung einer verschlüsselten Test-Nachricht würde mit einem „abgehörten Schlüssel“ nur eine unsinnige Zeichenfolge ergeben. Sind die Schlüssel einmal getauscht, werden die verschlüsselten Nachrichten dann über herkömmliche Kommunikationskanäle, wie Funk oder eine Telefonleitung ausgetauscht.

Neben dem Quantenschlüsselaustausch beschäftigt sich die Quantenkryptografie (engl. quantum cryptography) auch noch mit anderen Möglichkeiten, quantenmechanische Effekte in der Kryptografie einzusetzen.

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