5.5 Impuls und Kraftstoß
In Bild 5.24 siehst du ein Kopfballduell beim Fußball.
Egal ob du einen Kopfball spielst, auf der Straße einen Autounfall beobachtest oder dir aus Versehen ein Becher zu Boden fällt und dort aufschlägt – Stoßvorgänge (Kollisionen) von Objekten begegnen dir überall im Alltag. Die Erkenntnisse, die wir im Alltag über Stoßvorgänge gewonnen haben, helfen uns in der Kriminalistik bei der Aufklärung von Verbrechen mit Schusswaffen, aber auch bei der Entdeckung neuer Elementarteilchen. Ja, sogar das Swing-by Manöver einer Raumsonde bei einem Planeten und die Kollision von zwei Galaxien sind Stoßvorgänge.
Der Schlüssel zum Verständnis dieser Vorgänge ist der Impuls (5.5.1) und ein weiterer Erhaltungssatz, der Impulserhaltungssatz (5.5.6).
5.5.1 Definition von Impuls
Die physikalische Größe Impuls (engl. momentum) entspricht am ehesten dem Begriff „Wucht“ oder „Schwung“ aus der Alltagssprache. Die physikalische Definition lautet:
\[ \text{Impuls} = \text{Masse}\cdot\text{Geschwindigkeit} \]
Oder in Symbolschreibweise ausgedrückt:
\[\begin{equation} \vec{p} = m\cdot\vec{v} \tag{5.10} \end{equation}\] |
Der Impuls ist das Produkt aus einer Zahl (Masse) und einem Vektor (Geschwindigkeit) und ist somit ebenfalls eine Vektorgröße (B.3).
5.5.2 Einheit des Impulses
Einsetzen in die Definitionsgleichung für den Impuls liefert die Einheit:
\[ [p] = [m] \cdot [v] = \text{kg}\cdot\frac{\text{m}}{\text{s}} = \text{kg} \cdot \text{m/s} = \text{kg}\cdot\text{m}\cdot\text{s}^{-1} \]
Die Einheit „Kilogramm Meter pro Sekunde“ hat keinen eigenen Namen.
5.5.3 Kraft und Impuls
Mithilfe des neuen Impulsbegriffs lässt sich das dynamische Grundgesetz aus Abschnitt 4.2.4 umschreiben.
\[ \begin{array}{rcl} F & = & m\cdot a \\ & = & m\cdot \frac{\displaystyle \Delta v}{\displaystyle \Delta t} \\ & = & m\cdot \frac{\displaystyle v_2-v_1}{\displaystyle \Delta t} \\ & = & \frac{\displaystyle m\cdot v_2-m\cdot v_1}{\displaystyle \Delta t} \\ & = & \frac{\displaystyle p_2-p_1}{\displaystyle \Delta t} \\ & = & \frac{\displaystyle \Delta p}{\displaystyle \Delta t} \\ \end{array} \]
Eine andere Formulierung des dynamischen Grundgesetzes lautet daher:
\[\begin{equation} F = \frac{\Delta p}{\Delta t} \tag{5.11} \end{equation}\]
Jede Kraft, die auf einen Körper wirkt, verursacht eine zeitliche Impulsänderung. |
5.5.4 Kraft als zeitliche Impulsänderung
Sind die beiden Formulierungen des dynamischen Grundgesetzes
\[ F = \frac{\displaystyle \Delta p}{\displaystyle \Delta t}\qquad \text{und}\qquad F = m\cdot a \]
gleichwertig? Die Antwort ist: Nein. Wenn du dir die Herleitung aus dem letzten Abschnitt (5.5.3) noch einmal genau ansiehst, wird dir auffallen, dass wir bei den Impulsen nicht zwischen \(m_1\) und \(m_2\) unterschieden haben und davon ausgegangen sind, dass sich die Masse \(m\) während der Krafteinwirkung nicht verändert hat. In den meisten Fällen ändert sich die Masse tatsächlich nicht und wir können die vereinfachte Form \(F = m\cdot a\) für die Berechnung verwenden.
In einigen wenigen Fällen allerdings ändert sich die Masse sehr wohl. Zum Beispiel beim Raketenflug, wo der Treibstoff der Rakete bis zu 90% ihrer Gesamtmasse beträgt. Wird der Raketentreibstoff verbrannt, nimmt die Masse der Rakete ständig ab. In solchen Fällen musst du die allgemeinere Form \(F = \Delta p/\Delta t\) des dynamischen Grundgesetzes verwenden.
Isaac Newton war ein sehr kluger Mann. In seiner Arbeit hat er das dynamische Grundgesetz selbstverständlich in der allgemeinen Form als Impulsänderung pro Zeit beschrieben.
5.5.5 Kraftstoß
Die Impulsänderung \(\Delta p\) wird als Kraftstoß (engl. impuls) (oder Antrieb) bezeichnet und hat die Größe:
\[\begin{equation} \Delta p = F\cdot\Delta t \tag{5.12} \end{equation}\]
Im Kraft-Zeit-Diagramm kannst du die Impulsänderung als Fläche unter der Kraftkurve erkennen. Wirkt eine konstante Kraft, ist dieser Flächeninhalt ein Rechteck (Bild 5.25 oben), das du einfach berechnen kannst.
In den meisten Fällen wirkt während der Kontaktzeit keine konstante Kraft auf den Körper (Bild 5.25 unten). Wird ein Tennisball zum Beispiel gegen eine Wand geworfen, nimmt die Kraft zu, bis der Ball maximal eingedellt ist. Verformt sich der Ball zurück, wird die Kraft immer geringer, bis er die Wand schließlich verlässt und keine Kraft mehr wirkt. In diesem Fall kannst du aus der Impulsänderung zumindest auf die wirkende mittlere Kraft schließen (flächengleiches Rechteck).
5.5.6 Impulserhaltung
Neben der Energieerhaltung, die du in Abschnitt 5.3.7 kennengelernt hast, gibt es in der Physik noch weitere Erhaltungssätze wie zum Beispiel den Impulserhaltungssatz.
Wirken keine äußeren Kräfte auf ein System, ist der Gesamtimpuls – die Vektorsumme aller Impulse – konstant. | |
In der Animation 5.26 siehst du die Impulserhaltung beim schiefen Stoß zweier Münzen.
5.5.7 Herleitung der Impulserhaltung
Wir verwenden das Wechselwirkungsgesetz aus Abschnitt 4.2.7. Die Kontaktzeiten \(\Delta t\), in der beide Körper Kraft aufeinander ausüben, ist stets für beide Körper gleich.
\[ \begin{array}{rcl} F_1 & = & -F_2\\ \frac{\displaystyle \Delta p_1}{\displaystyle \Delta t} & = & -\frac{\displaystyle \Delta p_2}{\displaystyle \Delta t}\\ \Delta p_1 & = & -\Delta p_2\\ \Delta p_1 +\Delta p_2& = & 0\\ \Sigma \Delta p_i& = & 0\\ \end{array} \]
Die Gesamtimpulsänderung bei der Wechselwirkung von zwei Körpern ist immer null. Ist die Änderung aber null, folgt daraus, dass der Gesamtimpuls – also die Summe aller Einzelimpulse – konstant sein muss.
5.5.8 Kugelstoßpendel
Das Kugelstoßpendel (engl. newtons cradle) ist ein bekannter Demonstrationsversuch für die Impulserhaltung (5.5.6). Wird genau eine Kugel auf der linken Seite ausgelenkt und dann losgelassen, schwingt genau eine Kugel auf der rechten Seite auf gleiche Höhe aus.
Dieses Verhalten ist alleine durch Anwenden der Energieerhaltung (5.3.7) nicht zwingend notwendig. Sie wäre auch dann erfüllt, wenn auf der rechten Seite zwei Kugeln weg schwingen würden, wobei jede davon nur die halbe Hubhöhe erreichte. Im Falle der zwei weg schwingenden Kugeln widersprechen sich Energie- und Impulserhaltung. Im Falle einer weg schwingenden Masse sind Energie- und Impulserhaltung im Einklang. Es werden also beide Erhaltungssätze benötigt, um das Verhalten des Kugelstoßpendels korrekt vorherzusagen.
Die weiteren Ausgänge für zwei und mehr ausgelenkte Kugeln siehst du in Bild 5.28 zusammengefasst.
5.5.9 Rechenbeispiel zu Impuls und Kraftstoß
Ein reibungsfrei gelagerter Schlitten mit einer Masse von \(m=100\;\mathrm{kg}\) steht auf einer Schiene. Ein Kraftsportler übt eine waagrechte Kraft von \(F=800\;\mathrm{N}\) auf den Schlitten für eine Dauer von \(t=4\;\mathrm{s}\) aus. Wie groß ist die Geschwindigkeit des Schlittens nach dem Anschieben durch den Athleten?
Durch die für eine gewisse Zeitspanne auf den Schlitten wirkende Kraft kommt es zu einer Impulsänderung. Sie lässt sich mit der Formel für den Kraftstoß (5.5.5) berechnen.
\[ \Delta p = F\cdot \Delta t = 800\cdot 4 = 3\,200\;\frac{\text{kg}\cdot\text{m}}{\text{s}} \]
Für einen Körper mit unveränderlicher Masse ändert sich der Impuls nach der Formel \(\Delta p = m\cdot\Delta v\). Durch Umformen erhalten wir die Änderung der Geschwindigkeit durch das Anschieben.
\[ \begin{aligned} m\cdot\Delta v = {} & \Delta p \qquad\Bigr\rvert\cdot \frac{1}{m}\\ \Delta v = {} & \frac{\Delta p}{m} \\ \Delta v = {} & \frac{3\,200}{100} \\ \Delta v = {} & 32\;\mathrm{m/s} \\ \Delta v = {} & 115{,}2\;\mathrm{km/h} \\ \end{aligned} \]
Da der Schlitten zu Beginn auf den Schienen stand (\(v=0\;\mathrm{m/s}\)), ist die Geschwindigkeitsänderung gleich der Endgeschwindigkeit.