14.13 Thermodynamische Prozesse

Mit dem Linde-Verfahren werden heute großtechnisch Gase verflüssigt. In Bild 14.72 siehst du das Befüllen eines Tanks mit flüssigem Stickstoff bei \(−196\;^\circ\mathrm{C}\).

Befüllen eines Tanks mit flüssigem Stickstoff

Bild 14.72: Befüllen eines Tanks mit flüssigem Stickstoff

Im Kapitel thermisches Verhalten von Gasen hast du schon die isobare, die isochore und die isotherme Zustandsänderung von Gasen kennengelernt. In diesem Kapitel wirst du von der adiabatischen Zustandsänderung erfahren. Wir werden uns genauer den Zusammenhang von Arbeit und Wärme ansehen und klären, warum Gase beim Expandieren abkühlen.

14.13.1 Volumenarbeit eines Gases

Du kennst bereits die spezifische Wärmekapazität. Sie ist die nötige Menge an Wärme, um die Temperatur von \(1\;\mathrm{kg}\) eines Stoffes um \(1\;^\circ\mathrm{C}\) zu erhöhen. Für Festkörper und Flüssigkeiten spielt es kaum eine Rolle, wie der Stoff erwärmt wird. Bei Gasen ist das anders.

In Bild 14.73 siehst du zwei Behälter mit denselben Anfangsbedingungen: Druck \(p_1\), Temperatur \(T_1\) und Volumen \(V_1\). Wir wollen beide Behälter auf dieselbe Endtemperatur \(T_2\) bringen.

Vergleich der spezifischen Wärmen \(c_p\) und \(c_v\)

Bild 14.73: Vergleich der spezifischen Wärmen \(c_p\) und \(c_v\)

Mit \(Q_p\) bezeichnen wir die Wärmemenge, die notwendig ist, um die Endtemperatur \(T_2\) bei konstantem Druck (isobar) zu erreichen. Mit \(Q_V\) bezeichnen wir die Wärmemenge, die notwendig ist, um die Endtemperatur \(T_2\) bei konstantem Volumen (isochor) zu erreichen. Im Experiment zeigt sich, dass \(Q_p\) immer größer als \(Q_V\) ist!

Bei der isobaren Erwärmung nimmt das Volumen des Gases zu. Dabei muss der Kolben angehoben werden. Diese Arbeit wird Volumenarbeit eines Gases genannt. Ist sie positiv, verrichtet das Gas Arbeit und das Gasvolumen vergrößert sich. Ist diese Volumenarbeit negativ, wird von außen an dem Gas Arbeit verrichtet und das Gasvolumen verkleinert sich. Die zugeführte Wärme \(Q_p\) muss also nicht nur die Temperatur des Gases erhöhen, sondern zusätzlich auch mechanische Arbeit am Kolben verrichten.

Bei Gasen muss daher zwischen den spezifischen Wärmen \(c_p\) und \(c_V\) unterschieden werden. Für Luft ist zum Beispiel \(c_p=1{,}005\;\mathrm{kJ}\,\mathrm{kg}^{-1}\mathrm{K}^{-1}\) und \(c_V=0{,}718\;\mathrm{kJ}\,\mathrm{kg}^{-1}\mathrm{K}^{-1}\) ist niedriger. Weitere Werte kannst du in Listen von spezifischen Wärmekapazitäten nachschlagen.

14.13.2 Erster Hauptsatz der Thermodynamik

Hast du kalte Hände, kannst du ihre Temperatur erhöhen, indem du sie an einer heißen Tasse erwärmst (Wärme) oder sie aneinander reibst (mechanische Arbeit). Beide Möglichkeiten führen zu demselben Ergebnis: Sie erhöhen die Innere Energie deiner Hände. Natürlich kannst du auch beide Methoden kombinieren, um dein Ziel zu erreichen. Diese wichtige Erkenntnis wird im ersten Hauptsatz der Thermodynamik (engl. first law of thermodynamics) zusammengefasst.

Die Innere Energie eines Körpers kann durch Zufuhr von Arbeit und durch Zufuhr von Wärme erhöht werden.

\[\begin{equation} \Delta U = W + Q \tag{14.20} \end{equation}\]

Der erste Hauptsatz der Thermodynamik erweitert also den Energieerhaltungssatz um die Größen Wärme und Innere Energie.

14.13.3 p-V-Diagramm

Ändert sich das Volumen eines Gases, ist immer mechanische Arbeit im Spiel. Bei Motoren und anderen Wärmekraftmaschinen interessiert uns besonders die beteiligte mechanische Arbeit. Daher werden diese Prozesse meistens im p-V-Diagramm dargestellt 14.74. Dort ist die Volumenarbeit eines Gases als Fläche unter der Kurve ersichtlich.

Beispiel für einen thermodynamischen Prozess im p-V-Diagramm

Bild 14.74: Beispiel für einen thermodynamischen Prozess im p-V-Diagramm

14.13.4 Isobare Zustandsänderung im p-V-Diagramm

Die isobare Zustandsänderung eines idealen Gases hast du schon kennengelernt. Hier betrachten wir sie im p-V-Diagramm. Bei der isobaren Zustandsänderung ist der Druck konstant. Entsprechend sind Isobaren im p-V-Diagramm horizontale Geraden (Bild 14.75).

Isobare Zustandsänderung im p-V-Diagramm

Bild 14.75: Isobare Zustandsänderung im p-V-Diagramm

Die mechanische Arbeit entspricht dem Flächeninhalt unter der Isobaren. Die Form der Fläche ist ein Rechteck. Damit lässt sich die Arbeit mit der Flächenformel eines Rechtecks berechnen.

\[\begin{equation} W = p\cdot(V_2-V_1) \tag{14.21} \end{equation}\]

Ist der Wert der Arbeit positiv, verrichtet das System (Gas) die Arbeit, und wir gewinnen Energie. Ist der Wert der Arbeit negativ, müssen wir Arbeit am System (Gas) verrichten, und wir verlieren Energie.

14.13.5 Isochore Zustandsänderung im p-V-Diagramm

Die isochore Zustandsänderung eines idealen Gases hast du schon kennengelernt. Hier betrachten wir sie im p-V-Diagramm. Bei der isochoren Zustandsänderung ist das Volumen konstant. Entsprechend ist eine Isochore im p-V-Diagramm eine senkrechte Linie (Bild 14.76).

Isochore Zustandsänderung im p-V-Diagramm

Bild 14.76: Isochore Zustandsänderung im p-V-Diagramm

Für Isochoren ist der Flächeninhalt unter der „Kurve“ immer null. Bei der isochoren Zustandsänderung wird weder Arbeit vom noch am System (Gas) verrichtet.

14.13.6 Isotherme Zustandsänderung im p-V-Diagramm

Die isotherme Zustandsänderung eines idealen Gases hast du schon kennengelernt und weißt, dass die Isothermen im p-V-Diagramm Hyperbel-Äste (Bild 14.77) sind.

Isotherme Zustandsänderung im p-V-Diagramm

Bild 14.77: Isotherme Zustandsänderung im p-V-Diagramm

Die mechanische Arbeit entspricht dem Flächeninhalt unter der Isothermen. Für die Berechnung dieser Fläche benötigst du die Integralrechnung. Das Ergebnis ist die Formel:

\[\begin{equation} W = p_2\cdot V_2\cdot \ln\left(\frac{V_2}{V_1}\right) \tag{14.22} \end{equation}\]

Auch hier gilt: Ist der Wert der Arbeit positiv, verrichtet das System (Gas) die Arbeit, und wir gewinnen Energie. Ist der Wert der Arbeit negativ, müssen wir Arbeit am System (Gas) verrichten, und wir verlieren Energie.

14.13.7 Adiabatische Zustandsänderung

Eine adiabatische Zustandsänderung (engl. adiabatic process) ist eine Zustandsänderung, bei der keine Energie in Form von Wärme abgegeben oder zugeführt wird. Eine adiabatische Zustandsänderung kannst du auf folgende drei Methoden annähernd erreichen:

  1. Der Behälter ist thermisch isoliert, zum Beispiel in einer Thermoskanne oder einem Dewargefäß.

  2. Die Zustandsänderung verläuft so schnell, dass in der kurzen Zeit kaum Wärme zu- oder abfließen kann. Beispiele sind das Pumpen mit einer Fahrradpumpe oder das Verbrennen von Kraftstoff im Zylinder eines Motors.

  3. System und Umgebung haben fast dieselbe Temperatur. Da die Geschwindigkeit der Wärmeübertragung mit der Temperaturdifferenz steigt, erfolgt der Wärmetransport nur sehr langsam.

Bewegungsenergieänderung bei der adiabatischen Zustandsänderung

Bild 14.78: Bewegungsenergieänderung bei der adiabatischen Zustandsänderung

Bleiben wir beim Beispiel Fahrradpumpe. Bei dieser adiabatischen Kompression verkleinerst du das Volumen mit dem Kolben und der Druck steigt. Zusätzlich überträgst du mit dem Kolben Impuls auf die Gasteilchen – ihre Geschwindigkeit wird größer (Bild 14.78, a). Damit erhöhst du die Innere Energie des Gases und die Temperatur steigt.

Bei einer adiabatischen Expansion verliert das Gas Bewegungsenergie bei der Reflexion am Kolben (Bild 14.78, b), die Temperatur sinkt.

Den Verlauf der adiabatischen Zustandsänderung kannst du im Bild 14.79 als rote Linie sehen. Zum Vergleich sind auch Isothermen (blau) im Diagramm eingezeichnet. Bei einem adiabatischen Prozess ändern sich also Druck, Volumen und Temperatur gleichzeitig.

Vergleich der Zuständsänderungen im p-V-Diagramm

Bild 14.79: Vergleich der Zuständsänderungen im p-V-Diagramm

Obwohl eine perfekte adiabatische Zustandsänderung in der Natur nicht vorkommt, ist sie ein sehr wichtiger Vorgang für Wärmekraftmaschinen. Sie stellt die effizienteste Umwandlung von innerer Energie in mechanische Arbeit dar, da sie den kleinsten Wärmeverlust an die Umgebung hat.

14.13.8 Freie Expansion im Vakuum

Was passiert bei einer adiabatischen Expansion in ein Vakuum? Das kann beim Gay-Lussac-Versuch untersucht werden. Den Aufbau siehst du in Bild 14.80.

Gay-Lussac-Versuch

Bild 14.80: Gay-Lussac-Versuch

Zwei Behälter sind durch ein Ventil verbunden. Zunächst ist das Ventil geschlossen und das gesamte Gas befindet sich in der linken Hälfte, auf der rechten Seite befindet sich ein Vakuum. Wird das Ventil geöffnet, strömt das Gas in den zweiten Behälter und verteilt sich gleichmäßig auf das jetzt doppelt so große Volumen.

Anders als bei der adiabatischen Expansion mit einem Kolben (Bild 14.78, b) verrichtet ein ideales Gas bei der freien Expansion in ein Vakuum keine Arbeit an einem Kolben! Die Innere Energie der Gasteilchen eines idealen Gases bleibt unverändert und damit auch die Temperatur des Gases.

Verwendest du allerdings ein reales Gas für den Versuch, sinkt die Temperatur bei der freien Expansion in ein Vakuum! Der Grund sind die intermolekularen Kräfte (Van-der-Waals-Kräfte). Vergrößert sich das Volumen, vergrößern sich die Abstände zwischen den Molekülen und Arbeit muss gegen diese anziehenden Kräfte verrichtet werden. Die Energie dafür stammt von der kinetischen Energie der Teilchen (Innere Energie des Gases). Sinkt die Innere Energie, sinkt auch die Temperatur. In einem realen Gas ist die Innere Energie volumenabhängig!

Das Abkühlen eines Gases bei der adiabatischen Expansion wird – nach James Prescott Joule und William Thomson (der spätere Lord Kelvin)Joule-Thomson-Effekt genannt. Dieser Effekt wird zum Beispiel verwendet bei:

14.13.9 Adiabatische Zustandsänderung im p-V-Diagramm

Die Adiabaten verlaufen stets steiler als die Isobaren im p-V-Diagramm (Bild 14.81).

Adiabatische Zustandsänderung im p-V-Diagramm

Bild 14.81: Adiabatische Zustandsänderung im p-V-Diagramm

Für die Berechnung des Flächeninhalts unter einer Adiabate benötigst du die Integralrechnung. Die Volumenarbeit bei einem adiabatischen Prozess kannst du mit der folgenden Formel berechnen:

\[\begin{equation} W = \frac{p_1\cdot V_1-p_2\cdot V_2}{\kappa-1} \tag{14.23} \end{equation}\]

Der griechische Buchstabe \(\kappa\) („Kappa“) in der Formel steht für das Wärmekapazitätsverhältnis (engl. heat capacity ratio):

\[\begin{equation} \kappa = \frac{c_{P}}{c_{V}} \tag{14.24} \end{equation}\]

Wie bisher gilt: Ist der Wert der Arbeit positiv, verrichtet das System (Gas) die Arbeit, und wir gewinnen Energie. Ist der Wert der Arbeit negativ, müssen wir Arbeit am System (Gas) verrichten, und wir verlieren Energie.