13.6 Elektromagnetische Induktion
Nachdem gezeigt wurde, dass ein elektrischer Strom ein Magnetfeld erzeugt, fragte sich der Naturforscher Michael Faraday in umgekehrter Weise, ob und wie aus einem Magnetfeld und einem Leiter (Bild 13.65) ein Stromfluss erzeugt werden kann.
Genau darum geht es in diesem Kapitel. Du wirst den magnetischen Fluss kennenlernen, das Faradaysche Induktionsgesetz und erfahren, dass die elektrische Spannung nicht in jedem Stromkreis eindeutig ist.
13.6.1 Bewegungsinduzierte Spannung
Bewegst du einen Leiter wie in Bild 13.66 durch ein homogenes Magnetfeld, wirkt auf die Leiter-Elektronen eine Lorentzkraft entlang des Leiterstücks und es kommt zu einer Ladungsverschiebung. Nach der UVW-Regel für Ladungen kommt es unten zu einem Elektronenüberschuss und oben zu einem Elektronenmangel. Bewegst du den Leiter in die entgegengesetzte Richtung, dreht sich die Polarität des Stabes um.
Die Bewegung der Elektronen kommt erst dann zu einem Stillstand, wenn sich die Coulombkraft, die die verschobenen Elektronen durch ihr elektrisches Feld bewirken, und die Lorentzkraft gegenseitig aufheben.
\[ q\cdot E = q\cdot v\cdot B \qquad \mathrm{oder} \qquad E = v\cdot B \]
Für einen Abstand \(\ell\) ist die elektrische Spannung in einem homogenen elektrischen Feld
\[\begin{equation} U_\mathrm{ind} = E\cdot\ell = B\cdot \ell\cdot v \tag{13.16} \end{equation}\]
Mit dem Index ind drücken wir aus, dass diese Spannung die Folge eines durch Bewegung herbeigeführten (induzierten) elektrischen Feldes ist.
Beachte, dass es nur bei bestimmten Bewegungen zu einer derartigen Ladungstrennung kommt. Bewegst du den Leiter zum Beispiel in Richtung des Magnetfeldes, kommt es zu keiner Ladungstrennung zwischen den Enden des leitenden Stabes.
13.6.2 Bewegungsinduzierter Strom
Lassen wir das Leiterstück auf zwei leitenden Schienen gleiten und verbinden beide Enden mit einem Widerstand, der nicht mitbewegt wird (Bild 13.67), erhalten wir einen geschlossenen Stromkreis. Die induzierte Spannung führt jetzt zu einem Stromfluss.
Am Widerstand fällt dann die Spannung \(U_\mathrm{ind}\) ab. Für den induzierten Strom durch den Widerstand gilt dann:
\[\begin{equation} I_\mathrm{ind} = \frac{U_\mathrm{ind}}{R} \tag{13.17} \end{equation}\]
13.6.3 Lenzsche Regel
Befindet sich ein stromdurchflossenes Leiterstück der Länge \(\ell\) im rechten Winkel zu den Feldlinien eines homogenen Magnetfeldes, erfährt es eine Lorentzkraft \(F_\mathrm{L}\) der Größe:
\[ F_\mathrm{L} = I\cdot \ell\cdot B \]
Nach der UVW-Regel für ein Leitstück ist in unserem Fall die Kraftrichtung so wie in Bild 13.68 eingezeichnet – sie zeigt gegen die Bewegungsrichtung.
Bewegst du das Leiterstück wie in Bild 13.68 durch das Magnetfeld, spürst du einen Bewegungswiderstand! Es erfordert Arbeit, das Leiterstück mit konstanter Geschwindigkeit durch das Magnetfeld zu bewegen. Da es sich um eine konstante Geschwindigkeit handelt, hat dieser Widerstand nichts mit der Überwindung der Trägheit des Leiterstücks zu tun.
Die elektrische Energie, die im Widerstand in Wärme umgewandelt wird, stammt von deiner Arbeit, den Leiter durch das Magnetfeld zu bewegen. Die Richtung der Lorentzkraft ist also eigentlich nichts Besonderes, sondern steht im Einklang mit dem Energieerhaltungssatz. Allgemein lässt sich sagen:
Induzierte Spannungen und induzierte Ströme sind stets so gerichtet, dass sie ihrer Ursache entgegenwirken. |
Dieser Satz wird zu Ehren von Emil Lenz die Lenzsche Regel (engl. lenz’s law) genannt.
13.6.4 Magnetischer Fluss
Wie dem elektrischen Fluss liegt auch dem magnetischen Fluss (engl. magnetic flux) die Vorstellung der „Anzahl der Feldlinien“ durch eine vorgegebene Fläche zugrunde (Bild 13.69). Je mehr magnetische Feldlinien durch eine Fläche verlaufen, desto größer ist der magnetische Fluss durch diese Fläche.
So wertvoll diese Anschauung für viele Überlegungen auch ist, für eine mathematische Formulierung des magnetischen Flusses ist sie ungeeignet. Die Anzahl der Feldlinien ist immer unendlich, egal wie groß die magnetischen Flussdichte \(B\) ist. Die Anzahl der gezeichneten Feldlinien in einem Feldlinienbild ist prinzipiell beliebig – auch wenn wir für stärkere Magnetfelder üblicherweise mehr Feldlinien zeichnen, um einen Unterschied deutlich zu machen.
In einem homogenen Feld, in dem alle Feldlinien im rechten Winkel zu der Fläche stehen, wird der magnetische Fluss daher als Produkt aus Flächeninhalt \(A\) und magnetischer Flussdichte \(B\) definiert:
\[ \Phi_B = A\cdot B \]
Schließt die Fläche mit den Feldlinien einen anderen Winkel ein, wird der magnetische Fluss kleiner (anschaulich: Es verlaufen weniger Feldlinien durch das Flächenelement).
Um diese Abnahme des magnetischen Flusses bei anderen Winkeln zu berücksichtigen, wird er als Skalarprodukt von Flächennormalvektor \(\vec{A}\) und Feldvektor \(\vec{B}\) definiert.
\[\begin{equation} \Phi_B = \vec{A}\cdot\vec{B} \tag{13.18} \end{equation}\] |
Oder in nicht-Vektor-Schreibweise:
\[\begin{equation} \Phi_B = A\cdot B\cdot\cos(\alpha) \tag{13.19} \end{equation}\]
Wobei \(\alpha\) der Winkel zwischen Flächennormale und Feldrichtung ist. Verläuft das Flächenelement entlang der Feldlinien, ist der Winkel null und es gibt keinen magnetischen Fluss durch die Fläche.
Die Einheit des magnetischen Flusses ist:
\[ [\Phi_B] = [B]\cdot[A] = 1\;\mathrm{T}\cdot\mathrm{m}^2 = 1\;\mathrm{Wb} \]
Die Einheit „Tesla Quadratmeter“ wird zu Ehren von Wilhelm Eduard Weber als Weber (\(\mathrm{Wb}\)) bezeichnet.
Links:
- Simulation: Magnetischer Fluss
13.6.5 Magnetische Flussänderung durch Bewegung
Mithilfe des neuen Begriffes des magnetischen Flusses können wir die bewegungsinduzierte Spannung mathematisch auch anders ausdrücken.
Der Leiter der Länge \(\ell\) ist Teil eines Stromkreises, wie in Bild 13.71 dargestellt. Befindet sich der Stromkreis in einem homogenen Feld mit der magnetischen Flussdichte \(B\), ist die bewegungsinduzierte Spannung
\[ U_\mathrm{ind} = B\cdot \ell\cdot v \]
für eine gleichförmige Bewegung gilt \(v=\Delta x/\Delta t\), also:
\[ U_\mathrm{ind} = B\cdot \ell\cdot \frac{\Delta x}{\Delta t} \]
Das Produkt \(\ell\cdot\Delta x\) entspricht dem Flächenzuwachs \(\Delta A\) der Leiterschleife (von einem Leiter aufgespannte Fläche).
\[ \begin{aligned} U_\mathrm{ind} = {} & B\cdot \frac{\ell\cdot\Delta x}{\Delta t} \\ = {} & B\cdot \frac{\Delta A}{\Delta t} \\ = {} & \frac{B\cdot\Delta A}{\Delta t} \\ \end{aligned} \]
Das Produkt \(B\cdot\Delta A\) ist die Flussänderung bei einem konstanten Magnetfeld. Und so erhalten wir den Ausdruck
\[ U_\mathrm{ind} = \frac{\Delta \Phi_B}{\Delta t} \]
13.6.6 Faradaysches Induktionsgesetz
Das Faradaysche Induktionsgesetz (engl. Faraday’s law of induction) beschreibt die elektrische Wirkung durch eine zeitliche magnetische Flussänderung. Der von Michael Faraday entdeckte Zusammenhang lautet:
Die induzierte Spannung ist gleich der zeitlichen magnetischen Flussänderung. \[\begin{equation} U_\mathrm{ind} = - \frac{\Delta\Phi_B}{\Delta t} \tag{13.20} \end{equation}\] |
Die induzierte Spannung (engl. counter-electromotive force oder back EMF) ist umso größer, je schneller die magnetische Flussänderung stattfindet.
Das Minus in der Formel bringt die Lenzsche Regel zum Ausdruck, dass die entstehende Spannung ihrer Ursache stets entgegengerichtet ist. Am besten berechnest du den Betrag der Spannung (also ohne Vorzeichen) und überlegst dir dann die Richtung.
Beachte, dass die im faradayschen Induktionsgesetz beschriebene induzierte Spannung als Ursache
- eine Lorentzkraft (Bewegungsinduktion) oder
- ein zeitlich veränderliches Magnetfeld
(oder einer Kombination aus beiden) haben kann.
13.6.7 Magnetische Flussänderung ohne Bewegung
Im faradayschen Induktionsgesetz steckt noch eine weitere Möglichkeit, eine induzierte Spannung zu erzeugen, der wir bisher noch keine Beachtung geschenkt haben. Lassen wir den Leiter ruhen und ändern wir die Stärke des Magnetfeldes, in dem wir zum Beispiel einen Elektromagneten ein- oder ausschalten. Die so entstehende Flussänderung erzeugt ebenfalls eine messbare Spannung (Bild 13.72)!
Links:
13.6.8 Induzierte elektrische Felder
Bei einem Stromkreis mit einer Batterie ist es anschaulich, wie es zu der Bewegung der Leiter-Elektronen kommt. Eine chemische Ladungstrennung in der Batterie führt zu einem elektrostatischen Feld. Die Potenzialdifferenz (Spannung) lässt die Elektronen durch den Leiter wandern.
Bewegst du ein Leiterstück durch ein Magnetfeld, sorgt die Lorentzkraft für eine Ladungsverschiebung im Leiter. Auch hier kommt es zu einer Ladungsverschiebung und einem elektrostatischen Feld. Sind die Enden leitend miteinander verbunden, kommt es durch die Potenzialdifferenz (Spannung) zu einem induzierten Stromfluss.
Aber woher kommt die Kraft auf die Elektronen eines unbewegten Leiterrings, der sich in einem zeitlich veränderlichen Magnetfeld befindet? Die einzige Kraft, die auf ruhende Ladungen wirkt, ist die elektrische Kraft. Elektrische Kräfte entstehen durch elektrische Felder. Ein zeitlich veränderliches Magnetfeld erzeugt offenbar ein elektrisches Feld (Bild 13.73)!
Dieses Feld wird als induziertes elektrisches Feld (engl. induced electric field) bezeichnet. Während die Feldlinien des elektrostatischen Feldes an Ladungen entspringen und enden (Quellenfeld), sind die Feldlinien eines induzierten elektrischen Feldes stets in sich geschlossen – ein elektrisches Wirbelfeld also. Befinden sich freie Ladungsträger in einem elektrischen Wirbelfeld, erfahren sie eine Kraft und werden beschleunigt. Der in einem Leiter durch ein elektrisches Wirbelfeld verursachter elektrischer Strom wird Wirbelstrom (engl. eddy current) genannt.
13.6.9 Spannung in induzierten Stromkreisen
In den Kapiteln über einfache elektrische Stromkreise und verzweigte elektrische Stromkreise hast du viel über Stromkreise erfahren. Daher wird dich die Anzeige des Spannungsmessgeräts in Bild 13.74 nicht wirklich verblüffen. Die Batterie erzeugt einen Stromfluss durch den Verbraucher. Da die beiden Messpunkte aber auf demselben elektrischen Potenzial liegen, ist die Spannung zwischen ihnen null.
In Stromkreisen mit induzierten Strömen sind einige Dinge anders. Wir entfernen die Batterie und sorgen für einen Stromfluss durch ein zeitlich veränderliches Magnetfeld (Bild 13.75). Zeigen die magnetischen Feldlinien in das Bild hinein und nimmt das Feld konstant ab, erzeugt die magnetische Flussänderung in der Leiterschleife einen Stromfluss in dieselbe Richtung wie zuvor.
Der gesamte Stromkreis besteht jetzt nur aus einer einzelnen Masche mit einem einzelnen Verbraucher. An dem Verbraucher kannst du sehen, dass es wie zuvor zu einem Spannungsabfall \(I\cdot R\) kommt. Gibt es nur einen einzigen Spannungsabfall ungleich null in einer Masche, dann kann die Summe aller Spannungswerte in einer Masche unmöglich null werden. Während das Ohmsche Gesetz und die Knotenregel (1. Kirchhoffsches Gesetz) weiterhin gültig sind, ist die Maschenregel (2. Kirchhoffsches Gesetz) für induzierte Ströme ungültig!
Wir verbinden ein Spannungsmessgerät mit denselben Messpunkten wie im ursprünglichen Batteriestromkreis und im Falle unseres induzierten Stromkreises zeigt das Messgerät einen Wert ungleich null an (Bild 13.76). Wie kann das sein? In einem elektrostatischen Feld ist die elektrische Verschiebarbeit unabhängig vom gewählten Weg. Daher kann jedem Punkt ein eindeutiges Potenzial zugeordnet werden und die Spannung entspricht der Potenzialdifferenz. In einem elektrischen Wirbelfeld ist die Arbeit zwischen zwei Punkten aber abhängig von dem gewählten Weg, daher ist der Begriff des Potenzials – und auch der Begriff Potenzialdifferenz – hier sinnlos.
Was bedeutet dann der vom Spannungsmessgerät angezeigte Wert? Elektrische Spannung ist definiert als die Verschiebearbeit pro Einheitsladung. Das Spannungsmessgerät misst den Strom durch einen parallel geschalteten Widerstand und zeigt diese Verschiebearbeit an. Da diese Arbeit in einem elektrischen Wirbelfeld wegabhängig ist, bekommst du unterschiedliche Spannungswerte, je nachdem, wo sich das Spannungsmessgerät befindet und wie die Messleitungen verlaufen. Ja, sogar das Vorzeichen des Spannungswertes hängt von der Lage der Messleitungen ab!